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Die niederländischen Schützenpanzer CV9035 werden modernisiert. Die niederländische Regierung hat dazu ein Modernisierungsprogramm im Wert von mehr als 500 Millionen Euro aufgelegt. Die niederländischen Schützenpanzer entsprechen noch der Version Mk III. Die jetzt beschlossenen Modernisierungsschritte sind z.B. die Implementierung eines Gummikettensystems (rubber track). Was wie eine kleine Änderung von Stahlketten auf Gummiketten erscheinen mag, hat viele Vorteile. Die Gummikette verlängert die Durchhaltefähigkeit der Besatzung, reduziert die Betriebskosten und  das Gewicht erheblich, was wiederum zu einer besseren Fahrzeugleistung führt. Der jetzt geschlossene Vertrag umfasst die Entwicklung, Herstellung, Erprobung und Verifizierung sowie die Lieferung von Implementierungskits für die Ausbildung. Hinzu kommt die Versorgung mit der Serienkette für die kommenden Jahre.

Die Niederlande sind eines von sieben europäischen Ländern (Dänemark, Estland, Finnland, Norwegen, Schweden, Schweiz und Niederlande), die den Schützenpanzer (Infantry Fighting Vehicle; IFV) CV90 nutzen. Die königlich-niederländische Armee betreibt noch 144 CV90NLD. Die Zugehörigkeit zur CV90-Familie bedeutet, dass die Anwender eng und kontinuierlich untereinander und mit dem Hersteller BAE Systems zusammenarbeiten, um die aktuellen Fähigkeiten des Fahrzeugs zu verbessern und Investitionen zu erwägen, die sicherstellen, dass die CV90 auch für zukünftige Herausforderungen geeignet sind. Es wurden bisher mehr als 1.200 Fahrzeuge ausgeliefert. Der neueste Nutzer soll in den kommenden Jahren Tschechien werden. Dort gibt es Pläne, bis zu 210 CV90 zu beschaffen. Damit könnte Tschechien als erstes Land den CV90 Mk IV bekommen. Eine vergleichbare Zusammenarbeit gibt es zwischen den Ländern, die den Leopard 2 nutzen.

Die Entwicklung des CV 90 begann 1982, die Produktion 1991. Norwegen erhielt das erste CV9030N Fahrzeug 1998 (147 Stück), die Schweiz 2002 (186 Stück) und Finnland 2003 (102 Stück). Die Niederlande und Dänemark (45 Stück) sind seit 2007 Nutzer. Estland beschaffte seine 81 Fahrzeuge über die niederländischen und norwegischen Verträge, das letzte Fahrzeug wurde 2019 geliefert. Ende August erhielt Schweden das 100. CV90-Fahrzeug, von 471 georderten. In Schweden wird der Schützenpanzer Stridsfordon 90 (Strf90) genannt. Schweden war seinerzeit der Erstnutzer CV90 Mk 0. Die Plattform wurde im Laufe der Jahrzehnte bis mittlerweile zum Mk IV verbessert. Das schwedische Fahrzeug ist mit einer 40 mm Bofors-Kanone ausgestattet. Exportversionen nutzen auch die 30 mm oder 35 mm Mk 44 Bushmaster II-Maschinenkanone von Orbital ATK. Der CV90 Mk IV wurde mit einem neuen Antrieb (1.000 PS), einem aktiven Schutzsystem und dem Augmented-Reality-System iFighting ausgestattet. Sein Gewicht hat sich von 35 auf 37 Tonnen erhöht mit zwei Tonnen zusätzlicher Nutzlast.

Der CV90 Mk IV wurde erstmals im September 2017 gezeigt. Die modularen Türme des Fahrzeuges können zudem Bewaffnungen im Kaliber 30/40-, 35/50- oder 120 mm aufnehmen. Hinzu kommen optional Pods für weitere Maschinengewehre oder Panzerabwehrraketen. So wurden 2020 erstmals Testschüsse mit der integrierten Rafael Advanced Defense Systems/EurpSpike Spike-LR (Long Range) durchgeführt.

Das  Gummikettensystem wird gemeinsam von Soucy International in Quebec, Kanada, und BAE Systems Hägglunds in Schweden entwickelt. Soucy hat die Gummiketten entwickelt und produziert. BAE Systems hat das System in Versuchen qualifiziert. CV90 mit Gummiraupensystemen sind bereits bei den norwegischen Streitkräften im Einsatz und haben den Praxistest bei aktiven Einsätzen in Nordafghanistan durchlaufen. Insgesamt erhöht die Umstellung auf Gummiketten das Potenzial für weitere Upgrades. Auch Dänemark hatte 10 CV9035s ab 2010 in Afghanistan im Einsatz.

Die Umrüstung der CV9035NL-Fahrzeuge auf ein Gummikettensystem senkt unter anderem den Geräuschpegel im Fahrzeuginneren um 10 dB und die Vibration um 65 Prozent. „Die reduzierte Vibration wird die Lebensdauer von Elektronik, Optronik und Munition erhöhen, was die Fahrzeugbetriebskosten erheblich senken wird. Darüber hinaus wird mit der Reduzierung des Fahrzeuggewichts um fast eine Tonne als Folge der Umstellung auf ein Gummikettensystem ein erhöhtes Potenzial für kontinuierliches Wachstum vorhanden sein“, erklärt Dan Lindell, Director Combat Vehicles bei BAE Systems Hägglunds. Mit der Gewichtsreduzierung wird auch das Masse-Leistungs-Verhältnisses verbessert und die Mobilität erhöht. Die geringeren Geräusche und Vibrationen verringern die Belastungen der Besatzung erheblich und verbessern die Geräuschtarnung.

Das Gummikettensystem von Soucy International und BAE Systems Hägglunds auf einem CV90 Schützenpanzer. (Foto: BAE Systems)

Eine Gummikette von Soucy International wird auch bei der Produktverbesserung des Waffenträgers Wiesel in der Bundeswehr Einzug erhalten.

Die Modifikation des niederländischen CV90 ist die jüngste in einer Reihe von schrittweisen Verbesserungen. Zuletzt wählte im Jahr 2019 die niederländische Armee BAE Systems, um das aktive Schutzsystem Iron Fist Active Protection System (APS) von Elbit Systems zu integrieren. Iron Fist ist eine fortschrittliche Technologie, die anfliegende Bedrohungen wie RPGs (Rocket-Propelled Grenade) automatisch erkennt, verfolgt und neutralisiert, um das Fahrzeug und seine Besatzung zu schützen. Sie ergänzt die bereits bestehenden Stealth- und Soft-Kill-Schichten um weitere Mittel zur Abwehr der eindringenden Bedrohung und erhöht die Überlebensfähigkeit.

Die Weiterentwicklung des CV90 und die Nutzung durch die Niederlande sind auch deshalb sehr interessant, weil er als heißer Kandidat für das deutsche Heer gilt, sollte der Schützenpanzer Puma seine Einsatzfähigkeit nicht nachweisen können. Der CV90 gilt als Favorit des Kommandos Heer bei einem möglichen Ersatz. Mitte 2020 wurde in Strausberg darüber beraten, den Schützenpanzer Puma gegebenenfalls frühzeitig durch ein anderes Fahrzeug zu ersetzen. Allerdings käme diese Entscheidung für eine Bewährungsprobe des Heeres bei der NATO-Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force/VJTF) 2023 zu spät. Eine Entscheidung, den Puma zu ersetzen, und ein Vertrag für Ersatz, die Herstellung, Lieferung und Ausbildung der Soldaten für den CV 90 kann bis 2023 nicht rechtzeitig ausgehandelt werden. Deshalb ist der Schützenpanzer Marder für die Einsatzbereitschaft des deutschen Heeres nach wie vor von herausgehobener Bedeutung.

André Forkert