Print Friendly, PDF & Email

Auf dem Symposium „Herausforderungen und Perspektiven des wehrtechnischen Mittelstands“, das der Förderkreis Deutsches Heer in den Räumen der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft am 22. und 23. September 2020 veranstaltet hat, hielt der Geschäftsführende Gesellschafter der Plath GmbH, Nico Scharfe, in seiner Rolle als Leiter Initiativgruppe Mittelstand einen Vortrag zum Thema:

„Wehrtechnischer Mittelstand – Quo Vadis in diesen Zeiten?“ Er folgte auf die Reden des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, und des Abteilungsleiters Ausrüstung, Vizeadmiral Carsten Stawitzki.

Das Symposium zeigt die Relevanz des wehrtechnischen Mittelstands für die Ausrüstung der Bundeswehr sowie den Bedarf für eine Diskussion darüber, welche Auswirkungen die pandemiebedingte Krise auf den wehrtechnischen Mittelstand hat.

Vorab ist festzuhalten, dass der wehrtechnische Mittelstand trotz wohlwollender Handlungen durch die Bundesregierung letztendlich durch die Krise und deren Folgen in großen Teilen in eine bestandsgefährdende Lage kommen kann. Entschlossenes Handeln der Bundesregierung und ihrer Ministerien ist jetzt dringend gefordert.

Wo steht der wehrtechnische Mittelstand heute? Nach dem jüngsten Rüstungsbericht haben die Vergabebehörden des Bundesministeriums der Verteidigung Erfreuliches umgesetzt. So ist sowohl aufgrund des Auftragsvolumens als auch aufgrund der Anzahl der geschlossenen Verträge in den Jahren 2017 bis 2019 ein positiver Trend zu erkennen.

Strategiepapier der Bundesregierung (Grafik: BMWi)

Positiv ist auch, dass sich die Definition des wehrtechnischen Mittelstands im Rüstungsbericht wiederfindet und als etabliert angesehen werden kann. Die Definition „weniger als 1.000 Beschäftigte“, „weniger als 300 Millionen Euro Umsatz“, eine „überwiegende Wertschöpfung in der Bundesrepublik Deutschland“ und eine „strategische Ausrichtung im Marktsegment Wehrtechnik“ hat bei einer freiwilligen Selbstauskunft dazu geführt, dass das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr im Jahr 2019 1.380 Unternehmen als wehrtechnischen Mittelstand klassifiziert hat.

In der vom Förderkreis Deutsches Heer durchgeführten Umfrage im Mai 2020 haben die 20 an der Umfrage teilnehmenden Firmen aus dem wehrtechnischen Mittelstand ein Umsatzvolumen von 1,3 Milliarden Euro bei ca. 5.000 Mitarbeitern angegeben. Diese Zahlen extrapoliert mit den vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung in Koblenz erfassten 1.380 wehrtechnischen Mittelständlern zeigt das ganze Ausmaß an relevanter Wirtschaftskraft.

Noch viel wichtiger: Die Bundesregierung hat mit ihrem „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ einen bedeutenden Schritt getätigt. Es ist ein herausragendes und mutiges Dokument, welches ein Plädoyer für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie darstellt. In diesem Dokument ist folgende zentrale Aussage zum Mittelstand verankert:

„Mittelständische Unternehmen spielen sowohl eigenständig als auch im Verbund mit anderen Mittelständlern und als Partner der Systemhäuser eine entscheidende Rolle.“
Eine großartige Feststellung! Lobenswert ist dazu die konkrete Festlegung von Schwerpunkten in Form von nationalen Schlüsseltechnologien, wie es im strategischen Kontext geboten ist.

Das Dokument legt fest, auf welche Weise die Bundesregierung die strategischen Ziele umsetzen möchte. So ist es u.a. das Anliegen der Bundesregierung „Forschung, Entwicklung und Innovation zu stärken“, „Exportunterstützung und -kontrolle zu gewährleisten“ und das „Beschaffungswesen zu optimieren“. Als Zwischenfazit darf man festhalten, dass ein deutliches Ja der Bundesregierung zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie artikuliert wird, dem Mittelstand hier eine bedeutende Rolle zugewiesen wird und die Bundesregierung sich einen Handlungsauftrag gegeben hat.

Die Zahlen und das Handeln der Bundesregierung sprechen somit im Ergebnis von einer Stärkung des wehrtechnischen Mittelstands und von einer deutlichen Formulierung eines entsprechenden politischen Willens. Dies ist ausdrücklich zu würdigen. Fraglich ist, wie in Zeiten der Krise und internationaler Großprojekte diese Strategie gehalten und weiter aktiv umgesetzt wird.

Die Krise sorgt für einen dringenden Handlungszwang, denn die Maßnahmen müssen schneller umgesetzt werden. Es ist ein Wettlauf zwischen dauerhaftem Verlust und Erhalt der gewünschten Kompetenzen.

Die erwähnte Umfrage anlässlich des ersten Lockdowns hatte zwei wesentliche Erkenntnisse – eine operative und eine strategische. Die Zusammenarbeit in der Krise wurde als positiv und sehr konstruktiv bewertet. Dies bestätigt den Ansatz der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, der zwischen dem wehrtechnischen Mittelstand und dem öffentlichen Auftraggeber gepflegt wird. Die Befragten haben jedoch große Sorgen, dass etablierte Kompetenzen des wehrtechnischen Mittelstands aufgrund fehlender Aufträge in der Krise verloren gehen. Es herrscht große Unsicherheit, inwieweit eine rechtzeitige Planung zum technologischen Fähigkeitserhalt in Deutschland erfolgt und auch gezielt beim wehrtechnischen Mittelstand in den Auftragsbüchern ankommt. Die Sorgen der „Kernschmelze“ wichtiger Kompetenzen oder einer erzwungenen Abwanderung ins Ausland sind auch weiterhin besonders präsent.

Das erwähnte Strategiepapier zeigt somit noch nicht die angedachte Wirkung.
Die Bundesregierung hat für die Rüstung reagiert und im Konjunkturprogramm deutlich gemacht, „Aufträge und Investitionen“ vorzuziehen und „neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil, die noch in den Jahren 2020/2021 beginnen können, sofort umzusetzen“. Auf diese Initiative der Bundesregierung hat die Industrie umgehend reagiert. Der Förderkreis Deutsches Heer hat zum Beispiel Vorhaben im Sinne des wehrtechnischen Mittelstands vorgeschlagen.

Es wurde zudem angeregt, Vorhaben vorzuziehen und – besonders wichtig – die Mittel für Forschung und Technologie zu erhöhen und deren Vergaben umgehend einzuleiten. Gerade die Vergabe von Forschungs-und Technologiemitteln, die nicht ohne Grund als „Schmierstoffprojekte“ bezeichnet werden, sind besonders hilfreich. Sie helfen dem Kunden, Risiken in zukünftigen Beschaffungen zu reduzieren und Time to Market zu verkürzen. Dennoch ist der Mittelstand bei der Vergabe von Mitteln für Forschung und Technologie deutlich unterrepräsentiert.

Das Verteidigungsministerium hatte mit dem Konjunkturprogramm nun zusätzliche Möglichkeiten, die o.g. Ziele umzusetzen und akute Beschäftigungslücken des strategisch relevanten wehrtechnischen Mittelstands zu schließen.

Die von der Bundesregierung festgelegten Schlüsseltechnologien (Grafik: BMWi)

Wie kam es aber dazu, dass die Mittel des Konjunkturpakets zumindest nach erster Übersicht weder in die genannten Vorschläge, anstehende Vorhaben oder verstärkt in nationale Schlüsseltechnologien geflossen sind?

Zum einen wird geäußert, dass personelle Kapazitätsengpässe des Koblenzer Bundesamtes die Vorhabenliste mitbestimmt haben. Die finanziellen Mittel wären nicht mehr rechtzeitig vergeben worden.

Zum anderen aber ist bekannt, dass die Leitung des Verteidigungsministeriums weitaus mehr Projekte für das Konjunkturprogramm vorgeschlagen hat, als letztendlich beschlossen wurden. Darin waren u.a. auch Mittel für Forschung und Technologie (mehr als 300 Millionen Euro) enthalten, die zeitnah hätten vergeben werden können und auch dem wehrtechnischen Mittelstand besonders geholfen hätten. Das Bundesministerium für Finanzen hat jedoch massiv in die Vorschlagsliste des Verteidigungsministeriums eingreifen dürfen.

Das Konjunkturpaket enthält daher – bis auf einige wenige Ausnahmen – wenige Rüstungsprojekte, sondern eher Projekte, die für den wehrtechnischen Mittelstand nicht greifbar sind. Selbstverständlich ist die Beschaffung von Sanitätsgerät absolut wichtig und richtig und im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten. Es bleibt zu hoffen, dass es zukünftig dafür nicht erst eines Konjunkturprogramms bedarf.

Somit handelt es sich leider um eine Chance, die trotz guter Vorschläge aus dem Verteidigungsministerium von der Bundesregierung vertan wurde.

Als Ausblick und alternativ zum Konjunkturprogramm, um anstehende Beschäftigungslücken zu vermeiden, wird die zeitnahe Vergabe von vielen Großprojekten (25-Millionen-Euro-Vorlagen) durch das Verteidigungsministerium angestrebt. Das ist besonders wichtig mit dem Blick auf das anstehende Ende der Legislaturperiode und der dann drohenden Einschränkung im Haushalt. Durch die personelle Fokussierung auf die 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Verteidigungsministerium fehlt dann jedoch Personal in den (Vertrags-)Referaten für kleine und mittelgroße Verträge, die für den wehrtechnischen Mittelstand essenziell sind und die Kundennähe zum Nutzer gewährleisten. Auch helfen die Großprojekte zur zeitnahen Krisenbewältigung nur bedingt, da die Unterlieferanten selten das Auftragspaket bereits konkret kennen und zeitnah erhalten. Hilfreich für den wehrtechnischen Mittelstand sind mögliche Ergänzungsbeschaffungen, wie z.B. das zweite Los des Puma, da die Lieferketten dann schon etabliert sind.

Trotz des positiven Trends zur Stärkung des wehrtechnischen Mittelstands und des Strategiepapiers der Bundesregierung werden in diesen schwierigen Zeiten hohe Hürden bei der Umsetzung deutlich, was die Zukunft neblig bis düster erscheinen lässt.

Zwei wesentliche Lösungswege aus der Krise hinaus und in die Zukunft hinein zeigen sich für den wehrtechnischen Mittelstand auf: Die im Vortrag von Vizeadmiral Stawitzki erwähnte „Symbiose zwischen Systemfirmen und Mittelstand“ ist ein beidseitiger Sicherungsanker – in Zeiten der Krise noch mehr als zuvor. Während die Systemfirmen in vielen Aspekten den Windschatten für den wehrtechnischen Mittelstand bilden, bietet der Mittelstand häufig die gewünschten und notwendigen Innovationen, die für den entscheidenden Wettbewerbsvorteil sorgen. Der Inspekteur des Heeres hat in seinem Vortrag noch einmal die Schwerpunkte „Führung, Aufklärung und Unterstützung“ deutlich als die wesentlichen Trends für das Heer hervorgehoben. Es gilt, durch die Integration vieler Innovationen die existierenden Plattformen noch effektiver aufzustellen – aber auch so weitreichend zu beschaffen.

Die Präsenz des wehrtechnischen Mittelstands ist bei Großprojekten kein Hauptaugenmerk der Rüstungsabteilung. Die Beteiligung des Mittelstands wird weder in Verträgen vereinbart noch ist dem Beschaffer bewusst, welche Konsequenzen die Auswahlentscheidung gerade bei internationalen Projekten auf den heimischen Mittelstand hat. Entscheidungen auf Systemebene in den Großprojekten Future Combat Air System und Main Ground Combat System haben auch erhebliche Auswirkungen auf deutsche Hidden Champions im Mittelstand. Es ist anzunehmen, dass im Widerspruch zum Strategiepapier damit wesentliche Schlüsseltechnologien ins Ausland vergeben werden. Somit wird indirekt über Transfer und Ausverkauf von Schlüsseltechnologien entschieden. Da die (nationale) Lieferkette immer mehr an Bedeutung gewinnt und andere Nationen hier ihre nationalen Lieferketten organisieren, wird empfohlen, gleiches zu tun.

Ein weiterer Lösungsweg ist generell ein aktiveres Lieferantenmanagement beim öffentlichen Auftraggeber. Gute Leistungen führen zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit. Schlechtleistung sollte bei der nächsten Ausschreibung berücksichtigt werden (durch explizite Aberkennung der Eignung). Das gilt es zu operationalisieren, z.B. in Form von systematischen und dokumentierten Lieferantenbewertungen.

Die Industrie muss frühzeitig in den Beschaffungsprozess eingebunden werden, um deren fachliche und technische Expertise stärker zu nutzen. Dieses Vorgehen hat sich bewährt und liefert Erfolge in der Beschleunigung des Beschaffungsprozesses, selbst bei sehr großen Beschaffungsvorhaben. Zudem soll die Transparenz und Geschwindigkeit der Entscheidungs- und Beschaffungsprozesse verbessert sowie eine „Mittelstandsverträglichkeit“ bei Prozessen und Verträgen berücksichtigt werden. Inwieweit sollte die Krise nicht auch dazu führen, die Formate, die wir seit Jahren leben, im Sinne der sich ergebenden Notwendigkeiten anzupassen? Aktuell zwingt uns die beschleunigte Digitalisierung, Dinge anders und schneller zu bewegen als zuvor.

Auch diese Vorschläge sind bereits bekannt. Es stellt sich die Frage, wie in dieser akuten Krise der wehrtechnische Mittelstand ausreichend beschäftigt werden kann. Hierzu gibt es drei konkrete Vorschläge:

• Weitreichende F&T-Mittel für strategische Projekte bereitstellen und sofort vergeben: Hier gilt es, die bereits existierende Liste des Verteidigungsministeriums in der Form, bevor sie vom Finanzministerium zusammengestrichen wurde, „wiederzubeleben“.
• Schnellere Vergabe von bekannten Vorhaben: Es gilt nun, Hilfspakete zu schnüren, die schnell beim wehrtechnischen Mittelstand ankommen.
• Konsequente Umsetzung der Strategie der Bundesregierung in Vorhaben, in dem nationale Schlüsseltechnologien identifiziert worden sind.

Auffällig ist, dass es trotz der sehr guten Ansätze häufig an einer koordinierenden Umsetzung fehlt. Weshalb wird hier nicht ein in letzter Zeit so viel zitiertes „Forderungscontrolling“ eingesetzt im Sinne des Abgleichs zwischen Strategievorgabe und der konkreten Umsetzung? Die Nennung einer verantwortlichen Person auf Leitungsebene wäre nicht nur für die Industrie hilfreich. Auch die Idee eines „Ombudsrats Wehrtechnik“ wird diskutiert.

Quo Vadis? Es bleibt der Appell, gemeinsam den Weg der vertieften frühzeitigen Zusammenarbeit und der Etablierung eines aktiven Lieferantenmanagements seitens der öffentlichen Auftraggeber weiterzugehen und während der Krise die Beschäftigung durch schnelle Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Es ist sinnvoller, Systeme und Produkte zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten zu entwickeln, als diese Experten in die Kurzarbeit zu schicken.

Sollte sich der wehrtechnische Mittelstand nicht das Gehör in der Politik verschaffen und die oben vorgeschlagenen Lösungen ausbleiben, sind viele der 1.380 wehrtechnischen Mittelständler ernsthaft gefährdet. So drohen Kompetenzen für immer verloren zu gehen und im bildlichen Sinne würde der Pfeil den Bogen verlassen – für immer.

Nico Scharfe ist Geschäftsführender Gesellschafter der Plath GmbH.