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Interview mit Brigadegeneral Thomas Seifert, Stellvertretender Stabschef Support im Multinationalen Kommando Operative Führung in Ulm.

ES&T: Herr General Seifert, Sie haben Ihre Dienstzeit als Soldat in der Nationalen Volksarmee der DDR begonnen. Sie sind dann in die Bundeswehr des vereinten Deutschland übernommen worden. Wie war damals der Wechsel für Sie?
Seifert: Wie man sich bestimmt vorstellen kann, ist die grundsätzliche Veränderung des Gesellschaftssystems für jeden Menschen ein einschneidendes Ereignis – vielleicht das Einschneidendste, das man sich vorstellen kann. Ich habe es im Grunde zunächst als den Verlust des Vaterlandes wahrgenommen.

Sie wissen, dass die politischen Grundlagen der DDR sehr ideologisch geprägt waren. Somit war der Systemwechsel für jeden, der mit Überzeugung diese Gesellschaftsordnung mitgetragen hatte, sozusagen der schlimmste anzunehmende Fall, der eingetreten ist. Ich selbst war als Offizier und Mitglied der staatstragenden SED einer derjenigen, die als Soldaten das System mit erhalten und schützen sollten. Ich persönlich hatte bis zuletzt nicht daran geglaubt, dass die DDR so schnell von der Bildfläche verschwinden würde. Als es dann aber so kam, stellten sich für mich persönlich die gleichen Fragen wie für jeden anderen: Was erwartet mich jetzt? Wie werden sie mit mir umgehen? Wie wird sich das alles entwickeln? Das beherrschende Gefühl war eigentlich Unsicherheit. Letztendlich hat der Soldatenberuf, den ich noch in der NVA ergriffen hatte und den ich jetzt in der Bundeswehr weiter ausübe, dazu geführt, dass für mich schnell wieder Sicherheit und Kontinuität entstand und dass ich vor allen Dingen schnell auch Vertrauen und Optimismus für die Zeit nach der deutschen Vereinigung gefunden habe.

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Der Chefredakteur der ES&T, Rolf Clement, im Gespräch mit Brigadegeneral Thomas Seifert (Foto: MNKdoOpFü)

Der Beruf war also für mich der Ankerpunkt, der mir Halt in dieser unsicheren Zeit gegeben hat. In der Wendezeit habe ich vor allem deshalb an meinem Beruf festgehalten, weil er meiner lebenslangen Begeisterung für die Fliegerei, Flugzeuge und die Luftfahrt im Allgemeinen entsprach und der Dienst bei der Bundeswehr mir das alles wieder ermöglichen konnte. Und so ist aus der anfänglichen Unsicherheit, vielleicht sogar ein bisschen Furcht [ds_preivew]vor dem, was da kommt, ein zupackender Optimismus entstanden, da weitermachen zu wollen.

ES&T: Sie waren in einem technischen Bereich innerhalb der NVA – als Flugzeugtechniker. War das ein unpolitischer Job?
Seifert: Ganz unpolitisch ist das natürlich nicht, wenn man als Offizier der Nationalen Volksarmee und Mitglied der SED eine Führungsfunktion innehat. Aber wie überall auf der Welt sind die konkreten Arbeitsbedingungen wesentlich geprägt von der jeweiligen Tätigkeit, die man ausübt. Die Arbeit mit Hochtechnologie ist überall eine sehr arbeitsteilige, auf Zusammenarbeit und technischen Fachkenntnissen beruhende und somit weniger von Hierarchien geprägte Tätigkeit. Hier spielten die individuellen Fähigkeiten, technisches Know-how und spezifische Kenntnisse die entscheidende Rolle und nur im notwendigen Umfang politisch-ideologische Prägungen, Dienstgrade und militärische Formalien.

ES&T: Sie sind ja nun auch lange Zeit in der Bundeswehr und kennen und leben das Prinzip der Inneren Führung. So, wie Sie es gerade beschrieben haben, gab es da ein Stück Innere Führung in diesem Sinne auch in der NVA?
Seifert: Vielleicht mag man das zunächst gar nicht vermuten, aber ich habe mein persönliches Verhalten im Umgang mit Menschen nicht wirklich verändert. So wie ich als NVA-Offizier meine Kameraden, Vorgesetzten und Unterstellten behandelt habe, so mache ich das im Wesentlichen heute auch noch. Und wie ich selbst in der NVA behandelt wurde, war durchaus auch vergleichbar mit dem, was ich dann später in der Bundeswehr erfahren habe. Diese Aussage gilt natürlich nur für mich persönlich, und ich weiß von Berichten aus dem Freundeskreis, dass das bestimmt nicht in allen Bereichen und zu allen Zeiten so war.

Thomas Seifert (3. v.l.) war als Oberstleutnant Adjudant beim damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan (Fot: Privatarchiv Seifert)

Aber es gibt dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen damals und heute. Das sind die gesicherten staatsbürgerlichen Rechte, die man in einem demokratisch verfassten Staat und in einer Parlamentsarmee hat, was man sicher für die NVA nicht behaupten konnte. Meine eher positiven Erfahrungen damals hingen wie gesagt insbesondere mit meiner spezifischen Tätigkeit und den jeweils handelnden Personen zusammen, denen ich zumindest dafür heute noch dankbar bin.

ES&T: Sie haben damals die Gelegenheit gehabt, direkt nach Studium und Offizier-
ausbildung die MiG-29, eines der besten Flugzeuge, die es damals gab, kennen zu lernen. Hat Sie das auch motiviert, beim Militär zu bleiben?
Seifert: Meine Zeit mit der MiG-29 war bestimmt eine der prägendsten Zeiten meines Berufslebens – nicht nur, weil es meine erste Offiziersverwendung war. Wir waren natürlich stolz darauf, dass wir die ersten waren, die außerhalb der damaligen Sowjetunion dieses Kampfflugzeug der vierten Generation bekommen und es in relativ kurzer Zeit technisch beherrscht und zur vollen Einsatzbereitschaft geführt haben. Die Arbeit an diesem Flugzeug war letztlich ein einziges Glück für uns, weil nach der deutschen Vereinigung gerade unser Know-how gefragt war, was uns schon mit Stolz erfüllte. Die MiG-29 war das einzige Kampfflugzeug der NVA, was noch bis 2004 in der Bundeswehr betrieben worden ist. Die gemeinsamen Erlebnisse zwischen Ost und West im Rahmen der Einführung der MiG-29 in die Bundeswehr waren für mich persönlich die entscheidenden Grundlagen dafür, dass ich schnell im neuen System Fuß gefasst habe. Das uns stets entgegengebrachte Vertrauen und der Respekt vor unseren Leistungen auf der einen Seite und unsere Offenheit für notwendige Veränderungen andererseits waren der Schlüssel zum Erfolg.

ES&T: Wenn ich mir Ihre Vita ansehe, stelle ich fest, dass Sie nach dem Generalstabslehrgang an der Führungsakademie auch in politisch geprägten Funktionen waren, im Planungsstab des Verteidigungsministers beispielweise. Wir sitzen hier unter einem Bild von General a.D. Schneiderhan, bei dem Sie ja als Luftwaffenadjutant tätig waren, als er Generalinspekteur war. War es Ihr Interesse, dass Sie dann eher im politisch-strategischen Bereich tätig wurden und aus dem technischen Bereich herausgegangen sind? Wie kam das?
Seifert: Das ist eigentlich eine normale Sache als Generalstabsoffizier. Bis zur Stabsoffizier-Ebene ist man grundsätzlich immer in seiner Fachverwendung tätig – bei mir war das die Luftfahrzeugtechnik.

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