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Die Weiterentwicklung bestehender Schutzsysteme sowie die Einführung neuer Schutzlösungen erfordern auch bei Wirksystemen und Effektoren einen ständigen Innovationsprozess, um die Durchsetzungsfähigkeit der Streitkräfte zu garantieren und eine gewünschte Wirkung im Ziel zu ermöglichen. Wie moderne Wirksysteme aussehen und welche Trends im Bereich der Gefechtskopfentwicklung zu erkennen sind, darüber sprach die Europäische Sicherheit & Technik mit Thomas Malenke, dem Geschäftsführer der TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH.

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Fotos: MBDA

ES&T: Herr Malenke, welche Faktoren bestimmen einen modernen Gefechtskopf, damit die gewünschte Wirkung im Ziel erreicht wird? Gilt da das Prinzip „Viel hilft viel“?

Malenke: Nein, ganz und gar nicht. Sowohl in asymmetrischen als auch konventionellen Einsatzszenarien gilt es, die Wirkung eines Gefechtskopfsystems an das jeweilige Ziel anzupassen.

Zukunftsweisend sind Multieffektgefechtsköpfe. Sie erlauben es, die erforderliche Wirkung vor oder sogar während der Mission auszuwählen.

Neben der Selektierbarkeit ist die Skalierbarkeit von Wirkung von zentraler Bedeutung. Skalierbarkeit gewährleistet die erforderliche Wirkung im Ziel bei einer deutlich reduzierten Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Schäden.

Das Prinzip „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“ ist folglich zutreffender.

ES&T: Welche Innovationstrends sind auf dem Gebiet der Wirkung erkennbar und wodurch werden diese Trends bestimmt?

Malenke: Aus meiner Sicht zeichnen sich zwei zentrale Trends auf dem Gebiet der Wirkmittel ab. Wirkmittel werden zukünftig über höhere Wirkradien verfügen und trotz geringerer Masse eine größere Wirkung erzielen. Zudem ist der Schutz eigener Kräfte beim Einsatz von Waffensystemen ein zentraler Aspekt. Insofern spielt die Insensitivität des eingesetzten Wirkmittels eine wichtige Rolle.

Das ist uns unter anderem bei der Kampfwertsteigerung, der von BAE gefertigten Torpedosysteme Stingray und Spearfish, gelungen. Möglich wurde das, indem wir die Wirkmittelzusammensetzung der bei der British Royal Navy im Dienst befindlichen Torpedos optimieren konnten. Im Ergebnis haben wir so die Leistung der Torpedos gesteigert und gleichzeitig die Sicherheit der jeweiligen U-Boot-Besatzung erhöht.

ES&T: Wie sichern Sie die Innovationsfähigkeit Ihres Unternehmens ab?

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Vorbereitung für das Gießen von Explosivstoff in die Gefechtskopfgehäuse

Malenke: Die Fähigkeit zur Innovation ist Voraussetzung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir blicken auf eine über 60-jährige erfolgreiche Geschichte zurück. Aus diesem Erfahrungsschatz können wir schöpfen. Wir setzen dabei insbesondere auf unsere Beschäftigten. Die TDW achtet seit Jahren konsequent darauf, die Expertise der erfahrenen Beschäftigen durch Know-how neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ergänzen. Die Verjüngung in den letzten Jahren hat dazu beigetragen, neue Überlegungen anzustoßen. Flache Hierarchien begünstigen schnelle Entscheidungsfindung und schaffen die Grundlage, dass neue Ideen zügig vorangetrieben werden.

Investitionen in Forschung, Entwicklung und materieller Ausstattung sowie die enge Zusammenarbeit mit den Wehrtechnischen Dienststellen der Bundeswehr spielen selbstverständlich auch eine wichtige Rolle, um Innovationen voranzutreiben und unsere herausragenden Kompetenzen im internationalen Vergleich zu erhalten.

ES&T: In welchen Waffensystemen und Effektoren, die aktuell in den deutschen Streitkräften genutzt werden, können wir Technologien und Produkte der TDW sehen?

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Malenke: Gefechtskopfsysteme der TDW finden Sie in fast allen Lenkflugkörpern, die bei der Bundeswehr im Einsatz sind. Das Produktportfolio der TDW ist dabei nicht auf eine Domäne beschränkt. Unsere Gefechtsköpfe werden in See-, Land- und Luftzielflugkörpern verwendet. Wir beherrschen sämtliche Technologieformen, von klassischen Splitter- bzw. Hohlladungsgefechtsköpfen bis hin zu modernen Multieffektgefechtsköpfen. Bekannte Beispiele sind sicherlich die Gefechtsköpfe für die Waffensysteme Taurus oder Meteor sowie der Gefechtskopf für das leichte Wirkmittel Enforcer, welches erst vor kurzem zwischen MBDA Deutschland und dem Bundesamt für Ausrüstung, Infrastruktur und Nutzung unter Vertrag genommen wurde.

Abschließende Inspektion der montierten Hohlladungs-Gefechtsköpfe

Auch der NSM-Lenkflugkörper des norwegischen Unternehmens Kongsberg, dessen Einführung bei der Marine beabsichtigt ist, enthält einen Gefechtskopf der TDW.

Und letztlich hoffen wir auch bei der Beauftragung von Idas mit einem TDW-Gefechtskopf vertreten zu sein. Wir stehen hier seit längerem in Gesprächen mit Diehl und haben ein aus unserer Sicht attraktives Angebot abgegeben. Das könnte gleichzeitig auch den Auftakt zu weiterer Zusammenarbeit mit Diehl darstellen. Von der Zusammenarbeit würde insbesondere die Bundeswehr profitieren.

ES&T: An welchen Technologien arbeitet die TDW derzeit und wann ist eine Serienreife zu erwarten?

Malenke: Unser Produkt- und Technologieportfolio orientiert sich am Einsatzspektrum deutscher und verbündeter Streitkräfte. Für diese Streitkräfte hat neben den Auslandseinsätzen die Bündnis- und Landesverteidigung in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Das erweiterte Auftragsspektrum erfordert mehr Flexibilität von Streitkräften und stellt sie damit vor nicht unerhebliche Probleme. Multieffektgefechtsköpfe bieten hierfür eine passende Lösung, da mit einem Waffensystem ein breites Zielspektrum bekämpft werden kann: von verstärkter Infrastruktur über den Kampfpanzer bis zur Infanterie. Derartige Konzepte konnten wir bereits sehr erfolgreich mit Kunden aus Großbritannien umsetzen. Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit den Briten fanden auch Eingang in die Entwicklung des Enforcer-Gefechtskopfs, der zukünftig bei den Spezial- und spezialisierten Kräften der Bundeswehr zum Einsatz kommen wird.

ES&T: Das Thema Skalierbarkeit von Wirkung ist zumindest medial nicht mehr im Fokus, entspricht dies auch Ihrer Wahrnehmung? (Wenn ja, was sind die Gründe dafür?)

Malenke: Das Thema Skalierbarkeit stößt nach wie vor auf ein hohes Interesse. Dieses Interesse kommt hauptsächlich aus dem internationalen Umfeld. Das liegt nicht nur an den operativen Vorteilen, sondern auch daran, dass sich die Skalierbarkeit in bereits bestehende Waffensysteme integrieren lässt. Das bietet enorme Kostenvorteile. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird das Thema auch in Deutschland wieder an Bedeutung gewinnen. Ich bin davon überzeugt, dass sich unsere Radius-Technologie durchsetzen wird. Ihre Frage zeigt mir, dass sich Medien für das Thema interessieren. Das freut mich!

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Vorbereiten eines Hohlladungs-Sprengtests auf dem Versuchsgelände der TDW in Schrobenhausen

ES&T: Herr Malenke, Sie wurden im November 2019 in die Geschäftsführung der TDW berufen, können Sie kurz die Eindrücke wiedergeben, die Sie seitdem gewinnen konnten? Wie steht das Unternehmen da?

Malenke: Besonders beeindruckend ist für mich die hohe Motivation und Kompetenz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die TDW hat insgesamt 150 Beschäftigte. Jeder einzelne übernimmt Verantwortung und leistet seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg. Wir decken in Schrobenhausen die komplette Wertschöpfungskette ab – von den ersten Konzepten, der Auslegung über die Entwicklung und Fertigung bis hin zur Qualifizierung komplexer Gefechtskopfsysteme. Die Bündelung aller Unternehmensbereiche an einem Standort gewährleistet eine reibungslose und effiziente Zusammenarbeit aller Beschäftigten.

Die Einbettung in MBDA verleiht uns dabei eine technologische und finanzielle Stärke. Dies ist gerade in Zeiten wie diesen von Vorteil und bietet unseren Kunden eine enorme Sicherheit. Gleichzeitig verfügen wir dabei über ein hohes Maß an Autonomie und konnten einen eigenen Kundenkreis aufbauen. So beliefern wir nicht nur MBDA in Deutschland, Großbritannien und Frankreich sowie deren Beteiligungsgesellschaften, sondern nahezu sämtliche europäischen Lenkflugkörperhersteller.

Ein weiteres Merkmal stellt auch unser Selbstverständnis dar. So sehen wir uns nicht zuletzt aufgrund unserer schlanken Prozesse und ergebnisorientierten Abläufe als mittelständisch geprägtes Unternehmen. Dies ist auch einer unserer Erfolgsfaktoren, der uns im vergangenen Geschäftsjahr einen Rekord-Auftragseingang von über 70 Mio. € eingebracht hat.

Um auf Ihre Frage zu antworten: Die Situation der TDW kann sich sehen lassen!

Die Fragen stellte Waldemar Geiger.