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Ein zeitlich begrenztes Flottenprogramm, das Wettbewerbsfähigkeit der Werften über die Corona-Krisenzeit hinweg zu erhalten, fordert der Verband für Schiffbau und Meerestechnik, die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der deutschen maritimen Industrie, anlässlich der Vorstellung des Jahresberichtes 2019/2020.

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Kennzahlen des zivilen Schiffbaus (Graphik: VSM)

Der Verband wies darauf hin, dass die Werftenindustrie von einer schwachen Ausgangslage in die Covid-19-Krisen gehen musste. Die Krise wurde so verschärft. Mit der seit 2016 abflauenden Weltkonjunktur knickte die Nachfrage im Weltschiffbau ein. Im Jahre 2019 fielen die Auftragseingänge um fast dreißig Prozent geringer aus als in 2018. Zudem sieht der Verband Anzeichen dafür, dass die sich nun anbahnende Wirtschaftskrise keine kurzfristige Erscheinung sein wird. In der Einschätzung des Verbandes wird sie auch strukturelle Auswirkung nach sich ziehen. Als einer der Gründe dafür wird das in einigen Herstellerländern praktizierte Preis-Dumping, zum Teil in Verbindung mit staatlichen Subventionen, genannt. In Europa bestünde das Risiko von Einbußen bis zu 75 Prozent. Der Nachfrageausfall droht die bestehende Unterauslastung auszuweiten, das den Abbau von Schiffbaukapazitäten und damit ein Werftensterben zur Folge haben könnte.

Beispiel ist der Kreuzfahrtschiffbau. Er war das erfolgreichste Marktsegment in Europa. 95 Prozent der Schiffe wurden bislang in Europa bestellt. Die Branche liegt wegen des Covid-19 brach. Bei den bis 2027 ursprünglich vorgesehenen 200 zu bauenden Kreuzfahrtschiffen versuchen die Reeder, Aufträge umzudisponieren. Manch ein Auftrag wird auch storniert. Das betrifft die Meyer Werft und die MV Werften.

Der Verband plädiert nun für einen ganzheitlichen Ansatz zur Krisenabwehr in der deutschen Schiffbauindustrie. Über die allseits präsente Krise der Kreuzfahrtbranche hinaus seien auch andere Bereiche betroffen, darunter auch solche, bei denen die öffentliche Hand Auftraggeber ist. Wenn es zu weltweit zu beobachteten zunehmenden Staatsverschuldung kommt und Haushaltsmittel in andere Politik- und Gesellschaftsbereiche umgeleitet werden, ist zu erwarten, dass der Appetit zur Investition in Behörden- und Marineschiffe abnimmt. Der Verband geht von einer mindestens zwei- bis dreijährigen Schwächeperiode für die maritime Wirtschaft aus.

Um das Risiko für die Schiffbaubetriebe und Zulieferer abzufendern setzt sich der Verband mit ‚den Kollegen in ganz Europa‘, für ein zeitlich begrenztes Flottenprogramm ein. Das Programm sollte nicht nur öffentliche Aufträge, z.B. für die Marine, Bundespolizei, Polizei, Feuerwehr, Forschungsschiffe und den  Öffentlichen Personennahverkehr umfassen, sondern auch Initiativen bzw. Anreize für die ‚grüne‘ Erneuerung der Handelsflotte.

Der Verband verknüpft diese an die Politik gerichtete Forderung mit der Erwartung an die Industrie, verantwortlich, ökonomisch, wirtschaftlich und personalfreundlich zu handeln. Die Pressemitteilung ist in diesem Punkt sehr klar: Es sei nötig, „die Kostenbasis deutlich zu senken und gleichzeitig die Technologieführerschaft aufrecht und einen hohen Anteil der Fachkräfte an Bord zu halten“. Das bisherige Niveau an Forschung und Entwicklung solle aufrechterhalten werden. Von den Zielen des maritimen Klima- und Umweltschutzes dürfe nicht abgewichen werden. „Ein kluges Flottenprogramm kann entscheidend dabei unterstützen, die Technik von morgen schon vorzeitig in Fahrt zu bringen.“

Nach Angaben des Verbandes sind in Deutschland rund 2.800 Unternehmen mit etwa 200.000 Beschäftigten in Schiffbau und Meerestechnik aktiv. Gemeinsam realisieren sie bei Ablieferungen deutscher Werften eine inländische Wertschöpfung von ca. 85%. Der vorgestellte Jahresbericht weist aus, dass das Auftragsbuch deutscher Werften im zivilen Seeschiffbau sich zum Ende des Jahres 2019 mit 54 Schiffen und einem Gesamtvolumen von rund 18,7 Milliarden Euro einigermaßen stabil auf hohem Niveau bewegt. Die heimische Marineschiffbauindustrie erbringt rund ein Drittel des Gesamtumsatzes der deutschen Schiffbauindustrie. Im Durchschnitt der letzten Jahre liegt der Umsatz der Marinewerften bei über 1,5 Milliarden Euro jährlich. Die hohe Exportquote sei ein Ausdruck für die internationale Wertschätzung der deutschen Marineschiffbauindustrie und Beweis seiner Wettbewerbsfähigkeit.

Marineschiffbau beleben – Bekanntes und Neues: Landungseinheiten

Die Erwartungen an die Bundesregierung richten sich – ausweislich des Jahresberichtes – nicht nur an die schon ‚verabschiedeten‘ Bauprogramme Mehrzweckkampfschiff 180, Korvette K130, U-Boot U212 CD sowie die derzeitigen Modernisierungs- beziehungsweise Anpassungsmaßnahmen der Fregatten F123, F124, der Korvetten K130 (erstes Los). Sie fordern auch, die Betriebsstoffversorger/Flottentanker (Klasse 707) endlich zu realisieren. Darüber hinaus sieht der Verband Optionen im Anlaufen der Ersatzbeschaffung für die Flottendienstboote (Klasse 423), für die Minenabwehrfahrzeuge sowie den Ersatz der Tender-Klasse 404. Weitere Möglichkeiten derartiger Konjunkturbelebung werden in Ersatzbeschaffungen für die Hilfs- und Unterstützungseinheiten (Schlepper, Spezialschiffe) gesehen.

Damit nicht genug. Neben einer Forderung nach bis zu zwanzig Kampfbooten für amphibische Operationen sieht der Verband einen unveränderten Bedarf an eigenen Kapazitäten für militärische Seeverlegefähigkeit, Evakuierungen sowie humanitäre Krisenreaktionen und dem damit verbundenen weiteren Aufbau amphibischer Fähigkeiten. Zudem sieht der Verband nicht nur in einem zu beschaffenden ‚Logistic Command Ship‘ oder ‚Dock Landing Ship‘ einen besseren Weg zur Schließung einer Fähigkeitslücke als in der Mitnutzung niederländischer Einheiten. Schließlich sollte es auch zum Ersatz von Landungsbooten (bemüht wird die Klasse 520) kommen.

In einer kontinuierlichen Beschaffung neuer, wirtschaftlicherer Einheiten in größerer Stückzahl („Linie statt Klasse“) sieht der Verband Möglichkeiten, Instandsetzungskosten bei gleichzeitiger Steigerung der Verfügbarkeit zu reduzieren. Er formuliert den Appell, die fälligen Themen konstruktiv und in gegenseitigem Vertrauen zeitnah anzugehen, sowohl an den öffentlichen Auftraggeber als auch an die Industrie.

Insgesamt, so die Vorstellungen des Verbandes, könnte mit einem Flottenbauprogramm nicht nur die Grundauslastung für Erhalt und Ausbau der industriellen Kompetenz und der Systemfähigkeit im Über- und Unterwasserschiffbau über die Corona-Krisenzeit gerettet werden. Darüber hinaus trage eine wettbewerbsfähige deutsche Schiffbauindustrie bei einem „Wiederanspringen des Marktes dauerhaft zu Wohlstand und einer sauberen maritimen Wirtschaft“ bei.

Appell an die Verantwortung Berlins – und Blick nach Brüssel

Zwar sieht der Verband die grundsätzliche Richtung des Flottenaufwuchses positiv. Allerdings „muss innerhalb des Dreiecks aus Marine, Beschaffung und Industrie alles und das vor allem zügig getan werden.“

Der Verband begrüßt die Aufnahme des Marine-Überwasserschiffbaus in die Neufassung des Strategiepapiers der Bundesregierung zur Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sehr. Zeitnah dazu erfolgte die Verabschiedung eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe im Verteidigungsbereich. Die Industrie setze nun hohe Erwartungen in die zügige Umsetzung dieser Leitentscheidungen. Das mit der erfolgten Schlüsseltechnologie-Kategorisierung abgegebene Bekenntnis zum heimischen Industriestandort ist für die anstehenden nationalen Beschaffungsvorhaben, aber auch für die glaubwürdige internationale Positionierung als Partner- und Exportnation von hoher Bedeutung. Der Verband sieht darin eine maßgebliche  Erleichterung bei der Anbahnung konkreter Kooperationen und bei der Akquisition von Beschaffungsprojekten.

Allerdings seien, was die nationalen Vorhaben betrifft, nunmehr weitere Weichen möglichst kurzfristig zu stellen. Überbürokratisierte und überlange Ausschreibungsverfahren, wie z.B. bei Mehrzweckkampfschiff 180 oder bei der Ersatzbeschaffung der Betriebsstoffversorger/Flottentanker (Klasse 707), sollten in den Augen des Verbandes der Vergangenheit angehören.

Das Ziel, das Rüstungs- und Beschaffungswesen transparenter, effektiver und moderner zu gestalten, werde durch die Schiffbauindustrie uneingeschränkt unterstützt. „Aus schiffbauindustrieller Sicht sind jedoch konkrete positive Auswirkungen der ‚Agenda Rüstung‘ und der nachfolgenden ‚Agenda Nutzung‘ bisher kaum erkennbar“, formuliert der Verband. Die Schiffbauindustrie erwarte eine ausgewogene, lösungsorientierte und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, um notwendige Neubeschaffungen sowie Instandsetzungen und Modernisierungen verlässlich und im Kosten- und Zeitrahmen gewährleisten zu können.

Mit Blick auch nach Brüssel eröffnen sich für den Verband in der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO – Permanent Structured Cooperation) weitere Möglichkeiten – auch für den Marineschiffbau. Um das Feld nicht kampflos den europäischen Konkurrenten zu überlassen, sei es geboten, so der Verband, sich mit ausreichenden finanziellen wie auch personellen Ressourcen unterlegten maritimen Projekten kurzfristig einzubringen. Natürlich seien die Planungen des Verteidigungsministeriums und mit der Industrie abzustimmen.

Die Kritik an den bisherigen Maßnahmen zur Agenda Rüstung ist aus Industriesicht sicherlich nicht unberechtigt. Die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßene Optimierung des Beschaffungswesens („Umsetzung BeschO“), insgesamt 58 Maßnahmen, stößt in der Umsetzung an Grenzen. Aufgrund der Personalsituation im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung erlaubt die knappe Stellenbesetzung nicht immer, dass Rüstung als auch Nutzung gleichzeitig und gleichermaßen bedient werden können.

Aus dem Marinekommando wurde bisher zu den Forderungen nicht Stellung genommen. Es ist davon auszugehen, dass sie in stiller Freude aufgenommen wurden.

Hans Uwe Mergener