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„Was immer jetzt gebraucht wird, wenn wir helfen können, tun wir es“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Videobotschaft Mitte März. Gemeinsam mit Generalinspekteur Eberhard Zorn betonte sie den langen Atem, der in dieser Krise notwendig sei. „Wir werden so lange unterstützen, wie wir gebraucht werden.“ Die Bundeswehr werde in dieser kritischen Lage ihren Auftrag erfüllen, Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zur Resilienz von Staat und
Gesellschaft beitragen.

Gewöhnlich tut die Bundeswehr dies primär gegen äußere Bedrohungen. Es ist auch klar, dass der Kampf gegen Pandemien nicht den Kernauftrag und die Kernkompetenz der Streitkräfte darstellt. Die Streitkräfte sind, wie von der Ministerin zu Recht am Beispiel des Gesundheitswesens bemerkt, in dieser Krise oftmals „Juniorpartner“ oder Unterstützer der verantwortlichen zivilen Behörden und Organisationen.

Gleichwohl können sie als Teil des gesamtstaatlichen Ansatzes zur Sicherheitsvorsorge, zur Not und bei Vorliegen entsprechender Bedingungen und Voraussetzungen auch im Inneren einige Beiträge leisten. Hierzu verfügen die Streitkräfte grundsätzlich über eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten und Fähigkeiten, von denen sie bereits einige zum Einsatz gebracht haben. So war die Bundeswehr an der Rückholaktion deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus China beteiligt, half bei der Stau-Versorgung vor der deutsch-polnischen Grenze in Sachsen und stellt ihre begrenzten Laborkapazitäten zur Verfügung. Die fünf Bundeswehrkrankenhäuser stehen weiterhin, auch mithilfe des Einsatzes von Reservisten, nicht nur Soldaten, sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Kasernen dienten bereits als Quarantäne-Stationen. Das Verteidigungsministerium hat zudem kurzfristig Verträge mit Herstellern über die Lieferung von 300.000 Schutzanzügen und Brillen abschließen können. Weitere denkbare Aufträge wären vor allem Transport- und Logistikaufgaben, Hilfe beim Aufbau von Krankenhauskapazitäten, wie u. a. in Berlin angedacht, der Einsatz von ABC-Abwehr-Kapazitäten zur Desinfektion, die weitere Nutzung von Liegenschaften der Truppe sowie unterstützende Tätigkeiten von Feldjägern für Polizei und beim Schutz Kritischer Infrastruktur. Das alles muss die Bundeswehr natürlich parallel zu den überwiegend unvermindert weiterlaufenden Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen leisten. Zudem muss sich die Bundeswehr um den Selbstschutz kümmern und unter diesen Bedingungen, bei bereits etlichen Corona-Fällen bzw. Quarantäne-Maßnahmen, die Arbeitsfähigkeit und Einsatzbereitschaft aufrechterhalten.

Neuer Kernauftrag

Dies stellt einen neuen Kernauftrag dar, denn gerade im Inneren ist der Einsatz der Bundeswehr grundsätzlich erst dann vorgesehen, wenn die eigentlich zuständigen Organisationen am Ende ihrer Leistungsfähigkeit sind oder Unterstützung benötigen.

Gemeinsam mit dem Generalinspekteur, General Eberhard Zorn, betonte die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer den langen Atem, der in dieser Krise notwendig sei (Fotos: Bundeswehr)

Den Fähigkeiten und Optionen der Bundeswehr zur Hilfe im vorliegenden Pandemie-Fall sind, bei allem guten Willen und Engagement, klare Grenzen gesetzt. „Was immer jetzt gebraucht wird“ und „so lange, wie wir gebraucht werden“ gehört in einen Kontext mit dem konditionalen „wenn wir helfen können“ und „Juniorpartner“. Primär dienen Streitkräfte zunächst der Verteidigung gegen eine äußere, meist staatlich organisierte militärische Bedrohung. Dies bestimmt fundamental ihren Auftrag, ihre Ausstattung und ihre Fähigkeiten. Dennoch werden Streitkräfte weltweit bei Krisen und in der gegenwärtigen Corona-Pandemie auch im Inneren eingesetzt. Die dabei auftretenden Bedingungen und Limitierungen lassen sich für die Bundeswehr grundsätzlich unter die drei Kategorien rechtlicher, materieller und vor allem personeller Voraussetzungen zusammenfassen.

Dass die Corona-Pandemie mittlerweile die Menschen weltweit bedroht und sich unbeeindruckt von Grenzen ausgebreitet hat, ist offensichtlich. Selbst bei halbwegs optimistischen Szenarien, aber insbesondere natürlich bei längerem Andauern der Pandemie oder sich wiederholenden Wellen aufgrund von Neuansteckungen oder Virusmutationen, dürfte diese Krise auch erhebliche systemische Risiken mit sich bringen. Dennoch ist die rechtliche Situation im föderal organisierten Deutschland nicht so einfach. Solange kein Spannungsfall, kein Verteidigungsfall oder innerer Notstand vorliegen, sind die Befugnisse des Bundes, in die Hoheit der Länder einzugreifen, deutlich beschränkt. Zwar kann die Bundesregierung bei länderübergreifenden Katastrophen den Ländern Weisungen erteilen und gemäß Artikel 74 Abs. 1 (19) des Grundgesetzes auch über die Gesetzgebung, insbesondere über das Infektionsschutzgesetz, tätig werden. Die Umsetzung aller Maßnahmen und die konkreten Gesetzesausführungen unterliegen dann jedoch wieder der Länderhoheit. Gesundheits- und seuchenrelevante Entscheidungen sowie die notwendigen Maßnahmen werden dabei auf der Ebene der Landkreise und der Gesundheitsämter entschieden und angeordnet. Was seine historische Begründung hat und in vielen Fällen angemessen und richtig ist, stößt hier an seine Grenzen. Die Corona-Pandemie erfordert einheitliche nationale, besser noch europäisch und international abgestimmte Lösungen, Kompetenzen und Befugnisse. Stand heute kann die Bundeswehr nach Artikel 35 (1) des Grundgesetzes im Rahmen der Amtshilfe eingesetzt werden. Diese Hilfe ist auf technisch-logistische Unterstützung beschränkt, wie sie beispielsweise während der Flüchtlingshilfe stattfand. Gemäß der Absätze II und III des Grundgesetzartikels kann sie darüber hinaus auf Anforderung eines Bundeslandes oder auf Anordnung der Bundesregierung bei schweren Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen zur Unterstützung eingesetzt werden. Ein besonders schwerer Unglücksfall kann auch bei einer terroristischen Großlage gegeben sein. Der dabei möglichen, aber eng begrenzten Übernahme hoheitlicher Aufgaben sind hier hohe rechtliche Hürden gesetzt. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird fast immer unterstützend, in engen Grenzen und in Zusammenarbeit mit anderen, oftmals federführenden Bundes- und Landesbehörden stattfinden. Hier hat sich die Bundeswehr aber in der Vergangenheit, so z.B. bei den Flutkatastrophen an Elbe und Oder, stets bewährt.

Der Sanitätsdienst unterstützt seit dem 10. März die Fieberambulanz in Koblenz die Anlaufstelle für Patienten, die bereits Symptome einer Coronainfektion aufweisen

Stärker als die rechtlichen Fragen dürfte sich der materiell-strukturelle und personelle Zustand der Bundeswehr limitierend auf deren Möglichkeiten in der Corona-Krise auswirken. Die Bundeswehr wurde aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage seit 1990 in Umfang personell und materiell sowie hinsichtlich ihrer finanziellen Ausstattung deutlich reduziert. Ihre Präsenz in der Fläche hat massiv abgenommen, eine Vollausstattung und Bevorratung inklusive des Vorhaltens strategischer Reserven für nahezu alle lebenswichtigen Bereiche im Rahmen der Landesverteidigung und des Heimat- und Katastrophenschutzes galt lange als entbehrlich bzw. zu teuer und wurde de facto fast auf Null gefahren. Es gibt 2020 keine nennenswerten, eingelagerten Reserven an Versorgungs- und Sanitätsmaterial, Notverpflegung, Betten, Wasseraufbereitungsanlagen, Transportnetzen, Fahrzeugen etc. Die Bundeswehr verfügt nicht mehr über 350.000 Soldatinnen und Soldaten, sondern 184.000. Die Wehrpflicht ist ausgesetzt und Hunderttausende im Territorialheer organisierte Reservisten, einschließlich einer Reservelazarettorganisation mit über 120.000 Betten und diversem Sanitätsmaterial, sind aufgelöste Geschichte. Es gibt heute fünf statt einstmals 14 Bundeswehrkrankenhäuser und weitere kritische Fähigkeiten, wie z.B. ABC-Abwehr oder Lufttransport, wurden stark reduziert. Mangelwirtschaft dominierte zweieinhalb Jahrzehnte den Zulauf neuen Geräts, die Instandsetzung und Wartung älterer Systeme und die Versorgung mit Ersatzteilen, Spezialwerkzeugen und Munition. Auch bei der Digitalisierung hinkt die Bundeswehr trotz erkannter Lage und eingeleiteter Maßnahmen weiterhin hinterher. Die Pandemie legt hier durch die massenhaft auftretende Notwendigkeit der Telearbeit bzw. des Homeoffice und der Quarantäne die Lücken an verfügbaren Zugängen, Bandbreiten, Geräten und Zubehör schonungslos offen. Dies gilt auch für andere Arbeitgeber und die Gesellschaft insgesamt. Der aufzuholende Rückstand der Streitkräfte sticht dennoch heraus.

Zudem wurden – auch im Zeichen eines generellen neoliberalen Paradigmas mit Optimierungszwängen, Wirtschaftlichkeitsvorrang und Outsourcing – zahlreiche bundeswehrintern vorgehaltenen Fähigkeiten und Strukturen, wie zum Beispiel Wartung und Instandsetzung, Objektschutz, Logistik und Transport sowie diverse Dienstleistungen, privatisiert oder ganz aufgegeben.

Deutschlandweit stellen sich Krankenhäuser auf Covid-19-Patienten ein so auch das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz

Die Entscheidungen, die hierzu führten, waren politischer Natur und gesellschaftlich weitgehender Konsens. Sie gelten im Übrigen auch für das zivile Gesundheitssystem und die zivile Krisenvorsorge von Ländern und Bund. Zwar können sich diese im internationalen Vergleich durchaus noch sehen lassen, ihre Leistungsfähigkeit unter Krisenbedingungen und insgesamt ihre Resilienz haben jedoch stark abgenommen. So notwendig und nützlich wirtschaftliche Erwägungen und die Kraft des Marktes in vielen Bereichen sein mögen, so unbefriedigend sind die bisherigen Antworten auf existenzielle Herausforderungen, Krisenvorsorge und grundlegende Daseinsfragen, wie Sicherheit, Versorgung, Umwelt, Gesundheit und Pflege oder Bildung. Hier wird ein Umdenken notwendig sein, das zu einer Stärkung staatlicher Strukturen, Organisationen und Funktionen sowie entsprechenden Vorgaben und Regulierungen in diesen Bereichen führen dürfte.

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Die Abteilung XXI Mikrobiologie des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz erbringt mit einer mikrobiologischen Nachweismethode den Nachweis für eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus

Trendwende

In den letzten Jahren hat in der Bundeswehr eine generelle Trendumkehr begonnen, die angesichts der Ausgangslage und der zu bewältigenden Herausforderungen jedoch eines sehr langen Atems sowie erheblicher Anstrengungen und Ressourcen bedarf. Sie wird erst mittel- und langfristig zu spürbaren Verbesserungen von Materialzulauf und verbesserter materieller Einsatzbereitschaft führen. Diese Ausgangslage hat – bei fortlaufenden Einsätzen sowie einsatzgleichen Verpflichtungen – natürlich Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Bundeswehr in der Corona-Krise. Am besten dürfte es bei den Radtransportfahrzeugen und generell der Logistik aussehen, wo es zuletzt viele erfreuliche Meldungen über den Zulauf neuer Systeme gab. Auch hinsichtlich der Infrastruktur gab es positive Entwicklungen. So wurden einige Kasernenschließungen ausgesetzt oder rückgängig gemacht und Depots und andere Liegenschaften teilweise sogar reaktiviert. Die unter Ministerin Kramp-Karrenbauer begonnene Abkehr von strategischen Privatisierungen, wie z.B. der Heeresinstandsetzungslogistik, könnte im Zeichen der nach der Corona-Pandemie zu erwartenden Stärkung staatlicher Strukturen möglicherweise sogar zu weiteren Rückholungen bzw. dem Wiederaufbau ehemaliger Kompetenzen, Strukturen und Fähigkeiten in den Streitkräften führen.

Achillesferse und kostbarste Ressource, auch hier mit bekannten und offensichtlichen Analogien zum Gesundheitssystem und anderen staatlichen Strukturen, bleibt das Personal, speziell das Fachpersonal. Der Wiederaufbau von Kapazitäten und Infrastruktur oder der Zulauf neuen Geräts bleiben folgenlos, wenn das gut ausgebildete und motivierte Personal fehlt. Eine noch bestehende Reservelazarettorganisation oder eingelagertes Sanitätsmaterial würden – auch zukünftig – nur wenig bringen, wenn das Personal dafür nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist und im Falle der Reservisten des Sanitätsdienstes bereits im zivilen Gesundheitssystem an den Grenzen seiner Belastbarkeit und oft darüber hinaus arbeitet. Die schnelle und bedarfsgerechte Bereitstellung von Material für die Bekämpfung von Seuchen und Pandemien dürfte zukünftig weniger problematisch sein, zumal Finanzierungsfragen unter dem Eindruck der Corona-Pandemie in diesem essenziellen Bereich aller Voraussicht nach weniger eine Rolle spielen werden. Deutlich schwieriger dürfte sich aber auch zukünftig die Personallage und speziell die Gewinnung von Fachpersonal gestalten. Die Personallage bleibt daher auch für die Bundeswehr der zentrale Baustein ihrer Zukunfts- und Fähigkeitsplanung, in dem sie auch schon stark und vielfältig engagiert ist. Gleichwohl hat sie hier mit etlichen Einflussfaktoren zu kämpfen, die sie nicht oder nur wenig beeinflussen kann. Ungefähr die Hälfte ihres Personals an Zeit- und Berufssoldaten gewann die Truppe früher aus den Wehrpflichtigen. Trotz veränderter sicherheitspolitischer Lage erscheint gegenwärtig die Rückkehr zur Wehrpflicht aus diversen Gründen wenig wahrscheinlich. Angesichts der hohen Aufmerksamkeit für das im Gesundheitswesen, der Pflege und den öffentlichen Sicherheits- und Krisenvorsorgebereichen tätige Personal erscheint aber ein koordinierter Einsatz für einen attraktiv gestalteten und benannten Gesellschaftsdienst von jungen Frauen und Männern in den oben genannten Bereichen vielversprechender und dürfte auf weniger Widerstand treffen als in der Vergangenheit.

Auch die stärkere Aufmerksamkeit für die Reserve fällt in diesen Bereich. Sie dürfte ebenfalls an Attraktivität und Akzeptanz gewinnen. Weitere Maßnahmen und verbesserte Rahmenbedingungen zur Stärkung der Reserve dürften im gegenwärtigen Klima leichter durchzusetzen sein. Das gilt sicher auch für die Ausweitung von Übungstätigkeiten im vernetzten gesamtstaatlichen Ansatz, wie z.B. LÜKEX, die sich 2007 übrigens mit einem Grippe-Pandemie-Szenario befasste. Auch Konzepte, wie das 2016 von der Bundesregierung vorgestellte „Konzept Zivile Verteidigung“, dürften absehbar aufmerksamer und wohlwollender aufgenommen werden.

Umdenken notwendig

Etwas untergegangen im Zuge der Dominanz des Corona-Virus ist der Beschluss des Bundeskabinetts zur mittelfristigen Finanzplanung. Die Bundeswehr soll laut dieser ab 2021 600 Millionen Euro mehr und insgesamt 45,6 Milliarden Euro erhalten. Damit enden die guten Nachrichten aber auch schon, denn der Etat soll auf diesem Niveau bis 2024 verstetigt werden, also nicht weiter steigen. Die der NATO zugesagte Quote von 1,5 Prozent bis 2024 und das weitere Zubewegen auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fallen also denkbar bescheiden aus bzw. dürften nur durch ein deutliches Absinken der Wirtschaftsleistung im Gefolge der Pandemie erreichbar sein. Dies kann zum einen niemand wollen und unterstreicht zum anderen den fraglichen Wert und die geringe Aussagekraft symbolischer Prozentwerte. Klar ist in jedem Fall, dass mit dieser Etatentwicklung die Lücken zwischen Bundeswehrplanung, insbesondere Erreichung der Ziele des Fähigkeitsprofil 2031, und dafür notwendiger Finanzierung immer größer werden.

Die entscheidende Rüstungsinvestitionsquote bleibt deutlich unter den dauerhaft notwendigen 20 Prozent. Da aber selbst diese mittelfristige Finanzplanung unter dem Vorbehalt der Entwicklung zukünftiger Steuereinnahmen und den zu erwartenden Folgen und Priorisierungen der Pandemie stehen, sollte im Verteidigungsministerium niemand mehr auf das Prinzip Hoffnung oder die nähere Zukunft setzen. Eine realistische Anpassung des Fähigkeitsprofils erscheint jetzt dringend geboten, um aus vergangenen Reformen bekannte Fehlentwicklungen aufgrund des Festhaltens an unrealistisch gewordenen Annahmen und Rahmenbedingungen zu vermeiden.

Zusätzliche Finanzmittel dürfte die Bundeswehr absehbar nur erhalten, wenn diese für die Beseitigung der im Moment sichtbar gewordenen Mängel in den Fähigkeiten zum Heimat- und Katastrophenschutz sowie für die Krisenvorsorge verwendet werden. Hier könnte sich die Bundeswehr aber durchaus als ein geeignetes Vehikel des Bundes anbieten. Wo der Bund sonst mit großem Widerstand in die Hoheit der Länder und die Grundlagen des Föderalismus eingreifen müsste oder sich wie im Falle des Gesundheitssystems dem neoliberalen Paradigma und den Kräften des Marktes aktiv entziehen müsste, kann er über die Organisation der Bundeswehr zumindest in gewissem Umfang Fähigkeiten und Kapazitäten der Krisenvorsorge und des Katastrophenschutzes (wieder) aufbauen. Klar sollte dabei sein, dass die Bundeswehr in diesen Bereichen aber immer nur einen begrenzten Beitrag leisten kann. Ein in zentralen und existenziellen Funktionen stärkerer Staat, ein nicht rein nach wirtschaftlichen Erwägungen aufgebautes, widerstandsfähigeres Gesundheits- und Pflegesystem etc. könnte nicht im Ansatz durch die Fähigkeiten einer primär gegen externe Bedrohungen und zur militärischen Verteidigung aufgestellte Bundeswehr kompensiert werden. Zumal diese gerade hinsichtlich dieser Aufgaben seit 1990 einen Großteil ihrer Fähigkeiten, Strukturen und Ressourcen politisch gewollt abgebaut hat. Sie ist aber ein wichtiges Puzzleteil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge und des Resilienzaufbaus. Bei der mit Sicherheit anstehenden Analyse des Umgangs mit dieser Pandemie sollte es ausdrücklich nicht um Schuldzuweisungen oder das Suchen politischer Sündenböcke gehen. Schon das bisherige Ausmaß der Corona-Pandemie kann mit Fug und Recht als Schwarzer Schwan, also als von den meisten unerwartetes Krisenphänomen, bezeichnet werden. Zwar wurde schon 2012 im „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz“ ein aus heutiger Sicht erschreckend realistisches Szenario einer „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ analysiert und auf die gravierenden Folgen, das Schadensausmaß und die notwendigen Maßnahmen sowie Vorbereitungen hingewiesen. Gleichzeitig wurde das Ereignis aber mit der Klassifizierung „C“ als „bedingt wahrscheinlich“ eingestuft, also einem Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt.

Viele Gewissheiten werden nach dieser Krise auf den Prüfstand gestellt werden. Dazu zählen mit Sicherheit Fragen zur Reform föderaler Strukturen bzw. der Reorganisation des Verhältnisses von Bund und Ländern in bestimmten von der Pandemie berührten Bereichen. Insbesondere das Verhältnis von Staat und Markt bezüglich existenzieller gesellschaftlicher Aufgaben und Funktionen, u. a. im Gesundheitssystem und der Krisenvorsorge bzw. dem Katastrophenschutz wird mit Sicherheit dazu zählen. Der starke Nationalstaat dürfte wieder dominanter werden, hoffentlich unter Beibehaltung der europäischen Perspektive, eines pragmatischen Multilateralismus und einer Weiterentwicklung auch der EU-Strukturen der gemeinsamen Krisenvorsorge. Mittel- und langfristig dürften all diese Entwicklungen auch die Bundeswehr stärken, wenn sie klug geführt und richtig positioniert wird, wenn sie jetzt die richtigen Prioritäten setzt und wenn sie dem hohen Vertrauensvorschuss seitens der Bevölkerung auch in dieser Krise gerecht wird.

Autor: Dan Krause ist Politikwissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, Oberstleutnant der Reserve und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit (WIFIS).