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ES&T: Herr Günther, Sie sind zum 31. Oktober bei Diehl Defence ausgeschieden und im November zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik gewählt worden. Wie sieht Ihre Bilanz bei Diehl aus?

Günther: Meine persönliche Bilanz sehe ich positiv – bei allen Restriktionen, die aus externen Faktoren kommen. Ich glaube, ich habe in den vergangenen fast 13 Jahren, in denen ich an der Spitze von Diehl Defence stand, für das Unternehmen eine Menge bewirkt. Wir haben uns weiterentwickelt von einem reinen, sagen wir mal, Subsystem-Lieferanten z.B. im Bereich Lenkflugkörper zu einem mittlerweile auch international anerkannten Systemlieferanten im Bereich bodengebundene Luftverteidigung. Wir haben zurzeit Aufträge für zwei Systeme und wir reden mit mehreren NATO-Staaten darüber, wie wir sie in Zukunft mit Systemen, die im Wesentlichen auf der IRIS-T-Technologie basieren, ausrüsten können.

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Claus Günther ist November 2019 zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik gewählt worden. (Foto: Archiv ES&T)

Ich glaube, Diehl Defence ist auf einem guten Weg in die Zukunft – trotz schwieriger Rahmenbedingungen. Wir hatten in den letzten 13 Jahren erst einmal einen starken Rückgang bei den investiven Ausgaben des Verteidigungsministeriums in Deutschland. Wir haben etliche Jahre erlebt, in denen wir auch im Forschungs- und Entwicklungsbereich kaum Mittel aus dem Verteidigungsetat bekamen, in einem Jahr sogar fast gar nichts. Wir haben verstanden, das recht positiv in Aktionen umzusetzen, mit denen wir gut für die Zukunft aufgestellt sind, was den Bereich unserer Aktivitäten betrifft. Das ist die Bilanz im Unternehmensinternen.

Sie wissen, ich bin in vielen Vereinigungen und Gremien tätig. Ich habe schon an vielen Stellen versucht, in der politischen Diskussion im Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Rüstungspolitik Gehör zu finden. Unter anderem war ich mit am Weißbuch-Prozess beteiligt. Insofern ziehe ich auch da eine positive Bilanz.

ES&T: Wenn auch Sie davon sprechen, dass es teilweise schwierig war, u.a. wegen des Verteidigungshaushalts – ist die Trendwende Material bei Ihnen angekommen?

Günther: Ja, wir sprechen zurzeit über viel mehr Aufträge, die sich konkretisieren. Ich spreche insbesondere den Munitionsbereich an, z.B. intelligente Munition, Lenkflugkörper, dies sind ja unsere Hauptgebiete. Wir reden mit dem öffentlichen Auftraggeber über viele Projekte.

Wir sind in der Angebotsphase angekommen. Es hakt zurzeit allerdings noch ein bisschen an der Frage der realen Umsetzung. Die Vertragsverhandlungen sind deutlich komplizierter und komplexer geworden. Es gibt zum Teil Bedingungen des öffentlichen Auftraggebers, die für ein Unternehmen selbst der Größenordnung der Diehl-Gruppe schwierig zu handhaben sind.

Wenn die Trendwende Material tatsächlich nachhaltig kommen soll, dann muss man sich endlich Gedanken machen, wie man viele Beschaffungsverfahren beschleunigen kann. Das gilt im Bereich der Munition ganz besonders. Vieles was wir sozusagen in unserem Verkaufskatalog haben, ist in der Bundeswehr schon eingeführt. Da besteht also kein Entwicklungsrisiko, das man ganz generell sicherlich absichern muss. Das aber sind eingeführte Produkte, die man vertraglich eigentlich mit Copy and Paste sehr schnell abwickeln kann, zumal dann, wenn in der Vergangenheit keine Irregularitäten in der Abwicklung der Verträge aufgetreten sind. MELLS 3 ist ein gutes Beispiel, bei dem wir viele Vertragsbestandteile übernommen haben und damit relativ schnell zu einem Vertragsabschluss gekommen sind.

ES&T: Also wäre es sinnvoll, das Beschaffungsverfahren dadurch zu beschleunigen, dass man mit Musterverträgen arbeitet.

Günther: Ja, Musterverträge sind sicherlich ein Thema. Ich glaube, gerade in vielen Bereichen immer wiederkehrender Beschaffung könnte man mit Musterverträgen arbeiten. Die müssen allerdings dann auch ausgewogen in ihren Vertragskonditionen sein. Es gibt andere Themen, wo man mit Musterverträgen nicht weiterkommt. In dem Augenblick, wo Anpassungsentwicklungen oder Weiterentwicklungen erforderlich sind, werden Musterverträge natürlich nicht ziehen, weil Sie dann jedes Mal eine Singularität abbilden müssen. Diese Verträge muss man individuell gestalten. Da werden Musterverträge sicherlich wenig hilfreich sein.

ES&T: Welchen Vorschlag zur Beschleunigung von Beschaffungsvorhaben würden Sie machen?

Günther: Das ist für mich eine der schwierigsten Fragen, die mir im Übrigen auch schon viele der Menschen, mit denen ich in den vergangenen 13 Jahren diskutiert habe, gestellt haben. Meine Antwort ist sicherlich unpopulär. Ich sage das ganz deutlich: Wenn Sie sich die Einkaufsorganisation großer Konzerne anschauen, ist dort die Prozesseffizienz deutlich größer als das, was uns beim öffentlichen Auftraggeber begegnet. Wenn man die Beschaffung nachhaltig beschleunigen will, muss man noch mehr an der Organisation und an den Prozessen arbeiten. Wenn ich sehe, was wir in der Industrie – selbst in einem Unternehmen wie Diehl oder Diehl Defence – in den vergangenen 15 Jahren getan haben, um Prozesse zu beschleunigen, schlanker zu machen, zu digitalisieren, dann glaube ich, ist da noch ein großer Spielraum für Verbesserungen auch im Bereich des öffentlichen Auftraggebers.

Nach Schweden will auch Norwegen IRIS-T SLS zum Schutz seines Luftraums einsetzten, der Auftrag dazu erging Mitte November (Foto: Diehl Defence)

ES&T: Ist das Beschaffungsverfahren ein Hemmnis für schnelle, wirksame Beschaffungen, die die Bundeswehr zurzeit bräuchte?

Günther: Das kann man nicht so allgemein sagen. Es gibt Bereiche, in denen könnten sie nach meiner Auffassung deutlich schneller agieren. Und es gibt Bereiche, die bedürfen einer großen Sorgfalt, weil sie auch sehr weitreichend sind. Ein Beispiel: Ein Systembestandteil, das Sie auf Basis von Anforderungen neu entwickeln, die dann vielleicht zehn oder 15 Jahre Bestand haben, müssen Sie ganz anders angehen als die Nachbeschaffung für eine Bewaffnung oder die Beschaffung für einen Munitionsbestandteil, das eigentlich ein Serienprodukt ist, das eingeführt ist und entsprechend schnell wieder beschafft werden kann.

Ich entsinne mich sehr gut, dass wir vor ein paar Jahren eine bestimmte Munitionsart, die wir wegen der Nichtgenehmigung eines Exportauftrages auf Lager hatten, der Bundeswehr angeboten haben. Es bestand bei der Bundeswehr ein entsprechender Bedarf, der auch im folgenden Haushaltsjahr ausgewiesen war. Wir haben die fertige Munition früh genug sogar mit Sonderkonditionen angeboten, weil ich das Produkt gern zum Jahresende aus dem Bestand gehabt hätte. Es hat sich dann aber als nicht machbar erwiesen, dieses abzuwickeln. Wir haben schließlich an einen östlichen Nachbarn – auch ein NATO-Staat, auch EU-Mitglied – einen Großteil dieser zur Disposition stehenden Menge innerhalb von acht Wochen verkauft. Eigentlich unter ähnlichen Rahmenbedingungen, die auch bei uns gelten. Da sieht man, dass es offensichtlich bei unseren NATO-Partnern Verfahren gibt, die sich deutlich schneller umsetzen lassen. Es ist mir nicht wirklich eingängig, warum so etwas nicht auch bei uns möglich sein soll.

ES&T: Gleichzeitig aber wird der Industrie vorgehalten, dass sie gewisse Dinge nicht so schnell liefern kann, wie die Bundeswehr es eigentlich möchte.

Günther: Wissen Sie, ich bin immer ein Feind von Verallgemeinerungen. Es gibt in der Tat solche Phänomene, wie Sie sie beschreiben. Es gibt aber auch andere. Es gibt ganz viele Firmen in Deutschland, die liefern brav in time und im Kostenrahmen, was technisch vereinbart ist. Die Abwicklung solcher Aufträge ist natürlich völlig uninteressant für die Öffentlichkeit. Darüber redet kein Mensch. Wir reden nur über die Themen, die Sensationscharakter haben und das sind die, die sozusagen in die Hose gegangen sind.

Und solche gibt es natürlich. Sie müssen aber sehen, dass ein Entwicklungsvorhaben, das an der – wie man heute sagt – Edge of Technology stattfindet, immer auch noch technische Risiken hat, die Sie innerhalb eines Entwicklungsprozess erst einmal bewältigen müssen. So etwas ist viel, viel schwieriger in einem vorgefassten Zeitrahmen abzuwickeln, als ein Produkt zu liefern, das sie schon etliche Male produziert haben.

Oder ein anderes Beispiel: Nehmen Sie einen Lenkflugkörper, den wir der Deutschen Marine geliefert haben. Die Wiederbeschaffungszeiten in Verbindung mit einem erheblichen Kostenvolumen dauert ein bis anderthalb Jahre. In einer solchen Lieferkette haben Sie nicht viele Alternativen oder gar einen Pool von Lieferanten. Und Sie müssen jeden einzelnen Lieferanten qualifizieren. Wenn Ihnen dabei ein Lieferant während dieser Nachbeschaffungszeit ausfällt, dann verlängert sich der gesamte Prozess.

Ich habe oft genug darauf hingewiesen, dass wir die gesamte Lieferkette berücksichtigen müssen, um langfristig planen und Risiken aus den Unternehmen ausschalten zu können. Wenn ich den besagten Lenkflugkörper, von dem die Deutsche Marine nicht allzu viele hat, in einem Verteidigungsfall unter den aktuellen Bedingungen schnell nachliefern müsste, wäre das eine Katastrophe. Das Produkt – innerhalb weniger Stunden von der Marine verschossen – hat hinterher eine Wiederbeschaffungszeit von anderthalb Jahren. Und in der Zeit kann dann ein Teil der Plattformen oder Schiffe unserer Marine schlichtweg ihrem Auftrag, nämlich den der Landesverteidigung, nicht mehr nachkommen.

Sicherlich passieren auch bei Unternehmen Fehler. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Solche Fehler haben in der Vergangenheit auch zu Verzögerungen geführt. Aber zur genauen Lagebeurteilung man muss jede Situation sehr spezifisch und dezidiert im Einzelfall betrachten.

Ich sagte es schon: Leider wird in der Öffentlichkeit nur das diskutiert, was gründlich in die Hose gegangen ist. Die wirklich vielen erfolgreichen Dinge, die abgeliefert worden sind, sind im Regelfall nicht in aller Munde.

ES&T: Sie haben die Verfahren in der Industrie beschrieben. Ist nicht auch ein Grund für den Nichtausbau von Kapazitäten die Tatsache, dass die Alimentierung, also der Bundeshaushalt, doch sehr großen Schwankungen ausgesetzt ist, wenn der Finanzminister jetzt zum Beispiel erklärt, im nächsten Jahr müssten die Verteidigungsausgaben wieder sinken, um dann wieder zu steigen. Sagen Sie nicht: Na ja gut, wir wissen sowieso nicht genau, wie sich die Politik einstellt. Bleiben wir mal bei den Kapazitäten, die wir haben und bauen das nicht auf.

Günther: Natürlich. Wir bauen in der Industrie nur Kapazitäten auf, wenn wir eine gesicherte Beauftragung sehen. Wissen Sie, Fertigungsanlagen gerade für wehrtechnisches Gerät, auch für Munition, sind keine Anlagen, die sie auf dem normalen Anlagenmarkt kaufen können. Das sind alles Spezialanfertigungen. Das heißt, eine solche Fertigungslinie hinzustellen, kostet Zeit und viel Geld. Das tun Sie nur, wenn Sie eine klare Perspektive haben, dieses Geld auch wieder in das Unternehmen einzuspielen. Das heißt, dass sie in die Vorhaltung von Kapazitäten nur investieren, wenn sie im Grunde genommen einen unterschriebenen Vertrag haben. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass selbst in Papieren der Bundesregierung ausgewiesene Vorhaben verschoben wurden und eben nicht im Zeitrahmen kamen. Das macht die Industrie sehr vorsichtig. Erst wenn die Tinte unter dem Vertrag trocken ist, kann man in einem Beschaffungsvorhaben die Bereitstellung von eigenen Kapazitäten angehen. Und wenn Sie zusätzlich neue Mitarbeiter brauchen, das heißt, wenn sie ihren Personalbestand aufstocken, gilt das erst recht. Das tun sie schon gar nicht, wenn sie nicht einen unterschriebenen Vertrag haben. Denn man stelle sich vor, Sie müssen für ein solches Projekt 150 Mitarbeiter einstellen. Es ist schwierig genug, diese zu bekommen. Wenn Sie sie eingestellt haben und dann verzögert sich eine Vergabe um ein, zwei Jahre, haben Sie eine Mannschaft an Bord, die sie nicht beschäftigen können. Genau das spielt eine große Rolle auf Seiten der Industrie. Kaum jemand wird hingehen und sagen: „Ich stelle Leute ein, ich beschaffe eine Anlage oder maschinelle Ausrüstung bloß auf den Verdacht hin, dass die Bundeswehr möglicherweise im Jahr X ein entsprechendes Vorhaben realisieren will.“

Auf der anderen Seite muss man natürlich auch Verständnis für den Finanzminister haben, der aufgrund von wirtschaftlichen und politischen Rahmendaten seinen Finanzplan aufstellt. Man kann nur nicht alles wollen. Kein Geld bereitstellen, keine Verträge unterzeichnen, dann aber fordern, möglichst schnell und umfassend von der Industrie beliefert zu werden. Da müssen wir gemeinschaftlich zwischen öffentlicher Hand und Industrie eine Möglichkeit finden, wie wir in Zukunft besser planen und Kapazitäten, die wir haben, besser ausnutzen.

Erprobung von MELLS mit dem Puma im scharfen Schuss (Foto: Rheinmetall)

ES&T: Ihr Unternehmen hat sehr viel auch exportiert. Wie hat sich das in den letzten 13 Jahren entwickelt angesichts der Rüstungsexport-Richtlinien, die in Deutschland gelten?

Günther: Die Hälfte unseres Umsatzes bei Diehl Defence wird im Export erwirtschaftet, die andere Hälfte im nationalen Bereich. Das gilt nach wie vor. Wir haben eine leichte Verschiebung zugunsten der nationalen Bedarfe, die sich bei den Programmen, die für unser Haus anstehen, auswirken.

Ein Großteil unserer Exporte geht in NATO-Länder, die sind hiervon unbetroffen. Wir haben allerdings in der Vergangenheit auch in sogenannte Drittstaaten exportiert. Dieser Bereich ist insgesamt rückläufig. Wir haben, wie viele Menschen wissen, aber einen großen Auftrag aus dem Bereich der Luftverteidigung aus einem Drittland bekommen.

Wir exportieren heute auch wieder mehr in NATO-Staaten. Durch das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der NATO und durch den Nachholbedarf, den auch viele osteuropäische NATO-Staaten haben, konnten wir manches, was wir in der Vergangenheit in Drittländer exportiert haben, ausgleichen. So haben wir die Bilanz zwischen den beiden Bereichen – nationales und internationales Geschäft – halten können.

Tatsache ist, dass wir zu Anfang meiner Zeit noch den großen Konsortialauftrag für die IRIS-T abgeliefert haben, der bei uns ja über das damalige BWB abgewickelt wurde. Das war im Innenverhältnis im Grunde genommen ein nationaler Auftrag, der aber wegen der fünf außerhalb Deutschlands befindlichen Nutzerstaaten eigentlich einen Export-Charakter hatte. Das ist damals nie so aufgefallen, weil es in den Büchern anders aussah.

ES&T: Hat sich das regionale Verhältnis etwas verschoben – in die Golfstaaten oder Saudi-Arabien?

Günther: Wir haben an Saudi-Arabien im Wesentlichen IRIS-T verkauft, die an den englischen Eurofightern fliegen. Und das war im Wesentlichen der große Auftrag mit Saudi-Arabien. Wir haben schon vor einigen Jahren begonnen, uns auf die Veränderungen in der Exportpolitik der Bundesregierung, die für meine Begriffe frühzeitig erkennbar waren und auch immer in die gleiche Richtung gingen, einzustellen. Wir haben unsere internationalen Akquisitionsbemühungen verändert. Es wird einigen nicht entgangen sein, dass wir zum Beispiel früher ein Büro in der Türkei hatten, das wir schon vor ein paar Jahren geschlossen haben. Und auch andere Aktivitäten in Ländern, von denen wir auch auf der Compliance-Seite nicht zu 100 Prozent überzeugt sind, haben wir überprüft und unsere Konsequenzen gezogen. Wir haben uns in unserer Unternehmensstrategie auf diesen Trend, den wir in den Rüstungsexportregularien finden, frühzeitig eingestellt. Wir als Unternehmen sind also von vielen Themen, die zurzeit diskutiert werden, vergleichsweise wenig betroffen.

Ob man das aus sicherheitspolitischen Erwägungen gut findet, ist eine ganz andere Fragestellung. Wenn man als sicherheitspolitisch interessierter Mensch argumentiert, denke ich schon, dass wir als Nation viele Aspekte aufgeben, wo wir eigentlich mit deutschem Einfluss die Welt mitgestalten könnten.

Als Unternehmer sage ich aber sehr deutlich, die Richtlinien für Rüstungsexporte werden durch die Bundesregierung festgelegt, und daran haben wir uns als Unternehmen auszurichten. Bei Diehl Defence war es während meiner Zeit immer so, dass wir gut damit umgehen konnten.

ES&T: Haben Sie denn gemerkt, dass verschiedene Rüstungsgüterkooperationen „german-free“ gestaltet wurden, Sie also nicht eingeladen wurden, daran teilzunehmen?

Günther: Das gibt es sehr wohl. Wir haben für eine Lenkwaffe, die in Frankreich hergestellt wird, die im Übrigen auch ein Wettbewerbsprodukt zu einem unserer eigenen Produkte ist, Zulieferteile – wertmäßig wenige Tausend Euro pro Produkt. Diese Zulieferteile waren für das Produkt deswegen wichtig, weil sie eine Sicherheitseinrichtung an dieser französischen Lenkwaffe darstellten. Wir haben dann keine Exportgenehmigungen mehr bekommen, weil unsere französischen Kollegen ihr Produkt in kritische Länder liefern wollten. Mittlerweile befindet sich in der Nachfolgegeneration dieses für unseren französischen Wettbewerber wichtigen Lenkflugkörpers kein deutsches Teil mehr.

ES&T: Wird das jetzt besser durch die neuen Absprachen und Vereinbarungen mit Frankreich?

Günther: Ja, die Hoffnung geht allenthalben um. Es gibt wohl ein Papier zu diesem Thema. Hinterher sieht man dann, wie es gelebt wird. Da wage ich keine Prognose. Wenn man sagt, man kann 20 Prozent an einem Exportgut beitragen und braucht dazu keine deutschen Regularien, sondern kann das unter den Regularien des Empfängerlandes tun, dann birgt das leider auch die Gefahr, dass man in Zukunft mit nicht mehr als 20 Prozent an solchen Projekten beteiligt wird. Wenn wir von solchen Gemeinschaftsprojekten in Zukunft nur noch 20 Prozent Wertschöpfung in die eigene Industrie bekämen, aber 50 Prozent der Gesamtrechnung bezahlen, dann wäre das für meine Begriffe eine nicht ausgeglichene Bilanz. Da denke ich, muss man genau darauf schauen, ob sich das, was dort an neuen Regularien vereinbart worden ist, auch bewährt.

Flugkörper IRIS T an einem Eurofigther (Foto: Bundeswehr)

ES&T: Sie sind nun der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Zwei Themen, die Sie da beschäftigen werden, haben Sie schon angesprochen: Industrie und Verteidigungsministerium müssen sich zusammensetzen, um nach Auswegen bei einigen Problemen zu suchen. Ist das eine Aufgabe, der sie sich verpflichtet fühlen?

Günther: Es ist in den vergangenen Wochen und Monaten häufig an mich – übrigens von mehreren Seiten, nicht nur von Industrie- und Verbandsseite, sondern auch aus dem Raum des öffentlichen Auftraggebers – herangetragen worden, dass es des Schweißes der Tüchtigen Not täte, sich an dieser Stelle zu engagieren. Genau das wäre etwas, was mir in Zukunft Spaß machen könnte. Und gerade als Privatier braucht man ja Dinge, die einem Spaß machen. Man muss ja nicht mehr sein Geld damit verdienen. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik ist vor vielen Jahren auch unter Einbeziehung des Verteidigungsministeriums gegründet worden, um genau an der Schnittstelle Wissen zu bündeln und zu vermitteln. Zu dieser Schnittstelle gehören der öffentliche Auftraggeber, der Nutzer von Waffensystemen, nämlich die Streitkräfte, die Wissenschaft, die in einem erheblichen Maße in der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik repräsentiert ist, und natürlich auch die Industrie. Das ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe und heute sogar noch wichtiger als in der Vergangenheit. Warum? Weil wir heute unter vielen Einschränkungen leben, die vor vielen Jahren noch nicht galten. Ich nehme nur den gesamten Compliance-Bereich. Mir müssen uns darüber unterhalten, wie man im Rahmen aller gültigen gesetzlichen Regelungen wieder zu einem vernünftigen Zusammenleben kommt. Und ich kann nur sagen: Wer zum Beispiel die Szene in Frankreich kennt, wo die Verbindung und der Austausch zwischen Industrie, Wissenschaft, Politik und den Streitkräften erheblich enger ist als in Deutschland, stellt fest, dass dort nationale Positionen deutlich besser und konkreter formuliert und anschließend auch als gemeinsame Position in den europäischen Diskurs eingebracht werden. Wir haben an dieser Schnittstelle in Deutschland aus meiner Sicht noch Verbesserungspotenzial. Wenn ich mit den bescheidenen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, dort einen Beitrag leisten kann, wäre das sicherlich etwas, was mich ausfüllen und sehr befriedigen würde.

Das Interview führte Rolf Clement.