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Die Konstellation ist schon eine Überraschung: am 2. Juli kamen die Staats- und Regierungschefs zu folgendem Personal-Tableau überein:

Der belgische Premierminister Charles Michel wurde für den Zeitraum vom 1. Dezember 2019 bis 31. Mai 2022 zum Präsidenten des Europäischen Rates gewählt. Für den gleichen Zeitraum steht er auch der Euro-Zone vor.

Ursula von der Leyen, die deutsche Verteidigungsministerin wird dem Europäischen Parlament als Kandidatin für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission vorgeschlagen.

Spaniens Außenminister Josep Borrell Fontelles wird vorbehaltlich der Zustimmung des gewählten Präsidenten der Kommission für das Amt als Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik empfohlen.

Die Französin Christine Lagarde soll die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank übernehmen, „sofern sie die entsprechenden Empfehlungen und Stellungnahmen gemäß den Verträgen erhält“ (so der Text des Kommuniqués des Generalsekretariats).

Mit diesem Ergebnis trat Ratspräsident Donald Tusk vor die Pressekonferenz. Und betonte, dass es in der letzten Legislatur drei Monate gedauert hätte, um eine geeignete Besetzung zu finden. Und am Ende wären noch nicht einmal alle Staats- und Regierungschefs im Boot gewesen. Diesmal seien es drei Tage (wobei er das letzte Treffen am 20./21. Juni vernachlässigte, das zwar der vierteljährliche Routine-Gipfel war, doch ebenfalls der Kandidatensuche diente) – und es gäbe (unter den Staats- und Regierungschefs) niemanden, der dagegen sei. Dies gälte, so der Ratspräsident, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Deutschland, wohl aus Koalitionsgründen, bei einer Wahl nicht mitgestimmt hätte. (Was Kanzlerin Angela Merkel in ihrer nationalen Pressekonferenz bestätigte – sie hätte sich bei der Wahl des Kommissionspräsidenten enthalten (gemäß den Regeln deutschen Abstimmungsverhaltens wie in der Koalition verabredet, führte sie aus)).

Donald Tusk führte weiter aus, dass der Europäische Rat von Ursula von der Leyens Absicht, Frans Timmermans und Margrethe Vestager zu den ranghöchsten Vizepräsidenten der Kommission zu ernennen, zur Kenntnis genommen habe. Daran würde auch die Erwartung geknüpft, dass sie im Team der Vizepräsidenten für ein angemessenes geografisches Gleichgewicht sorge.

Angesprochen auf die Parlamentspräsidentenfrage wählte der Ratspräsident seine Formulierung mit großem Bedacht. Es sei immerhin die Angelegenheit des Parlamentes und dessen Entscheidung. Im Europäischen Rat könnte man sich eine Aufteilung vorstellen – die erste Amtsperiode für die Sozialdemokraten unter Frans Timmermans, die zweite für die EVP unter Manfred Weber. Zu seiner Einschätzung, wieweit der Vorschlag zum Kommissionspräsidenten Akzeptanz im Europäischen Parlament fände und einer möglichen Alternative des Personalpakets befragt, antwortete er freimütig, dass er auf die Unterstützung des Projektes baue. „Es ist nicht meine Aufgabe, zu beurteilen, wie groß die wirkliche Chance ist, im Parlament Erfolg zu haben. … Ich werde am Donnerstag im Parlament sein und alles, was ich kann über diesen Prozess und unsere Absichten informieren und erklären. Deshalb haben wir das Parlament, um zu debattieren, zu diskutieren und zu argumentieren und dann zu entscheiden“, so der Ratspräsident.

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Der Spitzenkandidatenprozess sollte nicht zu formal betrachtet werden. Letztendlich hätte der Rat mit dem gefundenen Ergebnis demonstrieren wollen, dass er sowohl dieses Prinzip achtet als auch das Votum der Bürger. Hinsichtlich der geographischen Balance sehe er durchaus Möglichkeiten für Zentral- und Osteuropa; Italien nannte er ausdrücklich in diesem Zusammenhang.

Damit fand die Kür der Spitzendienstposten doch noch ein vorerst gutes Ende. Die Entscheidungen wurden (bis auf die eine Enthaltung) einstimmig getroffen. Insofern ist die Demokratie in der EU noch nicht vor dem vielbeschworenen Ende! Die getroffene Formel hat das Zeug zu einer ausgewogenen Lösung sowohl geografisch, parteipolitisch als auch im Hinblick auf Gender. Es war ein aufregender Tag am Brüsseler Schuman-Platz. Die für 11 Uhr vorgesehene Ratssitzung begann erst nach 16 Uhr. Die bi-, tri- und x-lateralen Konsultationen im Vorfeld beförderten die Gerüchte unter den Journalisten. Etliche Namen wurden gehandelt und verschwanden wieder von den Notizen. Die eigentliche Entscheidung wurde vergleichsweise rasch getroffen – und lässt zahlreiche Verständigungen vor, während und nach Osaka vermuten, vom Sondergipfel der vergangenen Tage abgesehen. Vom Europäischen Parlament hängt nun einiges ab. Manfred Weber ist zwischenzeitlich von seiner Kandidatur als Spitzenkandidat zurückgetreten. Frans Timmermans hat seinen Parlamentssitz bis zu einer endgültigen Entscheidung an eine Parteigenossin abgetreten.

Dass Deutschland das Amt des Kommissionspräsidenten zufällt, und dies in (die eigene Abstinenz berücksichtigend: eigentlich) Einstimmigkeit, sollte als ein Erfolg gewertet werden. Erst recht, wenn man den Verlauf bis dahin berücksichtigt. Die sich nun abspielende Kontroverse sowie die von Spitzenpolitikern und Kommentatoren geäußerten Zweifel an der Person der Ursula von der Leyens, gehören zurechtgerückt: Erstens weist die Verfassungslage der EU das Prinzip des Spitzenkandidaten nicht aus. Der Präsident der Europäischen Kommission wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit (und das an sich ist schon komplexer als eine einfache Mehrheit!) vorgeschlagen und anschließend vom Europäischen Parlament gewählt. Der Europäische Rat hat lediglich das Ergebnis der Europawahl zu berücksichtigen. Zum Nachlesen: Artikel 17 EU Vertrag. Ergo, sollten sich die negativen Kritiken gegen die Brüsseler Formel vom 2. Juli relativieren. Zweitens ist anzuerkennen, dass kein anderer Kandidat eine derart breite Akzeptanz fand – auch keiner der sogenannten Spitzenkandidaten, will man daran festhalten.

Letztlich, Fragezeichen lassen sich immer hinter Personen, gerade politischen, setzen. Der belgische Premier ist in seinem Heimatland nicht unumstritten. Josep Borrell Fontelles, der als zukünftiger Hoher Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Verhandlungsgeschick beweisen soll, wird Dialogbereitschaft abgesprochen – wegen seiner Haltung in der Frage Katalonien und bezüglich des Kosovo (das Spanien nicht anerkennen will – natürlich hat da das eine mit dem anderen zu tun!).

Insofern sollte man (nicht nur) in Berlin von parteipolitischem Geranke Abstand nehmen und sich darauf besinnen, wie man einen Konsens erzielen kann, ohne von vorneherein die Hürden derart hoch zu legen, dass man nur schwerlich ohne Gesichtsverlust beidrehen kann. Ein Fortsetzen eines konfrontativen Kurses kann für die Zusammenarbeit in der Koalition so wenig förderlich sein es die Politikverdrossenheit der Bürger schürt – oder die Wahlbereitschaft im Allgemeinen bzw. für die eine oder andere Partei beeinflusst.

Der Fahrplan sieht nun vor, dass das Europäische Parlament am 3. Juli seinen Präsidenten (für die erste Amtsperiode von 2 ½ Jahren) wählt. Am 4. Juli sollen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates beraten werden – dann steht die Auswahl des  Kommissionspräsidenten zum ersten Mal zur Debatte. Bleibt zu wünschen, dass die dortige Entscheidung schnell getroffen wird – und ein Zwist der Institutionen ausbleibt. Erste Stellungnahmen aus dem Parlamentsumfeld stimmen vorsichtig optimistisch. Die Wahl des Parlamentspräsidenten kann als erster Indikator für die Großwetterlage verstanden werden.

Außerhalb des Rampenlichtes, doch bemerkenswert: Heute nahm Theresa May als britische Premierministerin zum letzten Male an einer Sitzung des Europäischen Rates teil.

Hans Uwe Mergener