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Die deutsche Wirtschaft läuft, ein wenig langsamer als 2018, aber immer noch solide. Hauptfaktor ist und bleibt der Export. Autoindustrie, Maschinenbau und Chemieunternehmen erfreuen sich höchster Beliebtheit bei ausländischen Kunden. Sie sind bereit, deutsche Qualität zu kaufen und vor allem zu bezahlen.

Gleiches gilt für den Rüstungssektor. Doch dieser Export treibt die Gemüter im politischen Establishment seit Jahren um. Natürlich ist die Politik bestrebt, Geschäfte zu fördern, Kunden zu umgarnen und strategisch-militärische Kooperationen zu unterstützen. Doch mit allen? Immer wieder betonen Verteidigungsministerium, Bundeskanzleramt und die Rüstungsfirmen – auch wenn aus intrinsischer Motivation – die Notwendigkeit, militärisches Know-how in Schlüsseltechnologien behalten und fördern zu wollen. Dafür benötigt man entweder interne Investitionen, die seit dem Traum von der Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges lange beständig zurückgegangen sind und trotz der Trendwenden nie wieder ihr altes Niveau erreichen, oder externe Verdienstmöglichkeiten für Krauss-Maffei und Co.

Insgesamt 20 Patrouillenboote hat Saudi-Arabien bei der Peene-Werft in Wolgast bestellt. Die noch nicht ausgelieferten Boote sind vom Exportstopp betroffen
(Foto: Hansa)

Insgesamt wachsen die globalen Militärausgaben. Das Stockholmer International Peace Research Institute (SIPRI) berechnete einen Anstieg um 279 Milliarden Dollar in zehn Jahren (2007 bis 2017). Erstmalig sprang Saudi-Arabien mit fast 70 Milliarden Dollar auf Platz 3. Doch die vermeintlich goldenen Absatzmärkte sind hart umkämpft. Die Konkurrenz aus den USA, Großbritannien, Frankreich aber auch Russland und China (immerhin fünf der sechs größten Waffenexporteure der Welt) schläft nicht. Darüber hinaus kann sich nicht jeder die „teuren“ deutschen Produkte leisten.

Das spielt bei den ölreichen Ländern am Golf keine große Rolle. Aber genau hier liegt das Problem. Soll die Bundesrepublik wirklich totalitären Regimen des Nahen Ostens todbringende Waffen an die Hand geben, deren zukünftige Verwendung weder gesteuert noch kontrolliert werden kann? Bereits im Jahr 2000 verpflichtete sich die Bundesregierung, „keine Waffen und kriegswaffennahe Rüstungsgüter an Staaten zu exportieren, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind. Waffen sollen auch dann nicht geliefert werden, wenn sie Konflikte auslösen oder verschärfen würden.“

So kann man zumindest nachvollziehen, warum Berlin im November 2018 – sieben Wochen nach der Ermordung des regierungskritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi – recht deutlich reagierte. Es verhängte Einreiseverbote für 18 saudische Tatverdächtige und einen vollständigen Rüstungsexportstopp. Der vermeintliche Strippenzieher, der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS), gehörte allerdings nicht dazu. Bis dahin hatten sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zu einer restriktiveren Rüstungspolitik verpflichtet. „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ Dieser Genehmigungsstopp sollte nun auch bereits autorisierte Ausfuhren betreffen, so das Wirtschaftsministerium. Normalerweise unterliegen Rüstungsexporte einer zweistufigen Approbation. Zunächst votiert der Bundessicherheitsrat über Anfragen der Industrie, bevor diese einen Deal abschließen kann. Sind die Waffensysteme erst einmal fertiggestellt – oft also erst Jahre später und nach umfangreichen Investitionen der Industrie – muss dann noch eine Ausfuhrgenehmigung erteilt werden. Erst danach können die Produkte ihren Weg ins Ausland finden. Die aktuelle Maßnahme erscheint also nicht vollständig durchdacht und somit auch nicht endgültig. Die Bundesregierung wolle „auf die Inhaber von gültigen Einzelgenehmigungen mit dem Ergebnis hinwirken, dass es derzeit keine Ausfuhren von Deutschland nach Saudi-Arabien gibt.“ „Das geschehe mit unterschiedlichen Instrumenten, die aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nicht genannt werden können.“ Auch wenn sich Berlin europäisch abstimmen wollte, gelang dieses hinsichtlich der Rüstungspolitik nicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron wies den deutschen Vorstoß sogar relativ schroff zurück. Die schwarz-rote Koalition befindet sich politisch, aber auch rechtlich in einer schwierigen Position. Denn, wenn eine bestehende Genehmigung zurückgezogen wird, können die betroffen Firmen eine Entschädigung verlangen.

Besonders betroffen von dem Exportstopp ist die im mecklenburgischen Wolgast ansässige Lürssen-Werft. Sie produziert 20 Patrouillenboote für die saudische Küstenwache. Zwei der Boote sind bereits fertig und ihre Ausfuhr genehmigt. Vier weitere könnten in Kürze folgen. An dem Auftrag hängen 300 direkte Arbeitsplätze und Hunderte bei den Zulieferern. Der Bootsauftrag aus Saudi-Arabien über etwa 1,5 Milliarden Euro ist für die Werft lebenswichtig. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter sitzt mittlerweile zu Hause und wartet bei vermindertem Lohn auf ein Ende des Exportstopps. Dieser wurde dann Ende März um weitere sechs Monate verlängert. Doch ein Rechtsstreit der Werft mit der Regierung könnte sich auf zukünftige Vertragsverteilungen ungünstig auswirken. So hängen doch die meisten Unternehmen von der Bundeswehr als Hauptkunden ab.

Exportbedenken aus Deutschland könnten die bereits unterzeichnete Bestellung aus Saudi-Arabien für 48 Eurofighter aus Großbritannien ausbremsen.
(Foto: BAE Systems)

Natürlich sind Geschäfte mit dem 1932 gegründeten Königreich moralisch zu hinterfragen. Aufgrund der strategischen Lage am Golf, vor allem aber wegen seines Ölreichtums, konnte es sich zur Regionalmacht entwickeln. Dazu öffnete das Schicksalsjahr 1979 dem Staat, der als einziger weltweit den Namen seines Herrschergeschlechtes trägt, die Augen. Die Revolution Ayatollah Khomeinis im Iran ließ ein schiitisches Mullah-Regime entstehen, welches seither als ernstzunehmende Schutzmacht der schiitischen Minderheit dem sunnitischen Nachbarn offen die Stirn bietet. 1979 kam ebenfalls Saddam Hussein im Alter von 42 Jahren im Irak an die Macht. Lange vom Westen finanziell und militärisch unterstützt, lief auch diese Diktatur aus dem Ruder. Die Besetzung Kuwaits 1990 führte den saudischen Prinzen die eigene militärische Unterlegenheit mehr als deutlich vor Augen. Zur Schande vieler musste Riad die Stationierung von „Ungläubigen“ auf heiligem Boden gestatten. Doch auch innenpolitisch brachte 1979 die Führung in Riad zum Umdenken. Das für Muslime Unglaubliche geschah, als am 20. November ca. 500 islamistische Terroristen die Große Moschee in Mekka für zwei Wochen in ihre Gewalt brachten. Der Saud-Dynastie gelang es nur dank „ungläubiger“ französischer Spezialtruppen ihre Rolle als Wächter der Heiligen Stätten auszuüben. Den Staat auf der Arabischen Halbinsel bewogen diese drei Ereignisse zu einer beispiellosen Aufrüstung. Dabei sollte das Militär gegen den Erzfeind Iran, in Interessensgebieten an den Grenzen (z.B. Jemen) sowie im Innern einsetzbar werden. Riad öffnete die Schatulle und Waffen jeglicher Art fanden den Weg ins Königreich. Die saudische Armee von über 600.000 Soldaten verfügt derweil über modernstes Gerät – darunter auch Fuchs-Spürpanzer und das Gewehr G3 aus Deutschland.

Nicht ganz zu Unrecht verweisen Kritiker immer wieder auf die Schwächen des erzkonservativen islamischen Landes. Darüber täuscht auch das visionäre Reformprogramm des Kronprinzen MBS nicht hinweg. Von Meinungs- und Pressefreiheit, Gleichberechtigung oder Demokratisierung kann keine Rede sein. So führt Riad seit 2015 eine Koalition von arabischen Staaten im Kampf gegen die schiitischen und vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen an. Innenpolitisch ging das Regime bereits mehrfach rigoros gegen Demonstranten vor, meist Schiiten im ölreichen Nordosten des Landes, und ließ Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit vermissen.

Die Spitze der Unbeliebtheitsskala erreichte die Herrscherfamilie letztes Jahr im Zuge der Khashoggi-Affäre. Berlin reagierte – zum Teil im Alleingang und zu Lasten der deutschen Rüstungsindustrie.

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Nicht nur einheimische Waffenschmiede runzeln nun die Stirn. Natürlich ist der Export in NATO- und EU-Länder sowie Gleichgestellte (z.B. Japan oder Australien) unproblematisch – den Fall Türkei einmal ausblendend. Kompliziert wird das Verhalten Berlins bei internationalen Gemeinschaftsprojekten. Paradebeispiel bildet die europäische Vorzeigekooperation, der Eurofighter. Großbritannien unterzeichnete 2007 einen lukrativen Deal mit Saudi-Arabien über die Lieferung von 72 Kampfflugzeugen dieses Typs. Im Rahmen dieser Kooperation erlaubt eine sogenannte Sammelausfuhrgenehmigung die Lieferung der in Deutschland gefertigten Eurofighter-Turbinen nach Großbritannien und dann nach Saudi-Arabien. Im Rahmen solcher Verträge verkaufte Deutschland beispielsweise im Jahr 2015 Fahrgestelle für Transportfahrzeuge nach Frankreich. Die Transporter wurden anschließend mit einer französischen Ausfuhrgenehmigung nach Saudi-Arabien geliefert. Darüber hinaus exportiert Deutschland auch Ersatzteile im Rahmen bestehender Lieferverträge und Kooperationen für früher gelieferte Waffen. Dazu gehören: Teile für Minenjagdboote, Kampfhubschrauber, Transportflugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge oder vier Cobra-Artillerie-Ortungssysteme.

Natürlich findet die Wirtschaft auch Wege, politische Signale auszuhebeln. So beliefert z.B. der Rüstungskonzern Rheinmetall Saudi-Arabien über Tochterfirmen in Italien und Südafrika mit Munition – immerhin im Wert von über hundert Millionen Euro jährlich. Rheinmetall-Vorstand Helmut Merch betonte, dass „diese Lieferungen nicht vom deutschen Exportstopp betroffen sind.“ Außerdem besitzt Saudi-Arabien eine Lizenz zur Produktion von Schnellfeuergewehren des Typs G3 vom deutschen Hersteller Heckler & Koch. Für das Gewehr des nachfolgenden Typs G36 wurde 2008 eine Fabrik genehmigt.

Nicht genehmigt wurde die Lieferung von Leopard 2-Panzern. Zwar wurde eine Voranfrage aus Saudi-Arabien von der Vorgängerregierung noch positiv beschieden, doch stoppte 2014 der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Genehmigungsverfahren. Gleichzeitig genehmigte Gabriel aber die Ausfuhr der beiden Patrouillenboote. Zur Begründung hieß es, sie würden nur zur Grenzsicherung eingesetzt.

Der Kurs der deutschen politischen Führung ist also weder eindeutig noch stringent. Dementsprechend kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, die Entscheidungen über Exporte seien wegen überraschender Kursänderungen oft nicht nachvollziehbar. Dadurch wurden erhebliche Irritationen gerade auch bei unseren europäischen Partnern ausgelöst. Der deutsche Zickzackkurs irritiert auch die Saudis.

Ob diese Verstimmung Auswirkungen auf andere Großprojekte haben wird, bleibt abzuwarten. Die Situation der deutschen Rüstungsindustrie mit ihren rund 136.000 Beschäftigten wird durch den Exportstopp jedenfalls nicht besser.

Wie schwierig wirtschaftliche Beziehungen mit „dubiosen“ Staaten sein können, zeigt aktuell auch das Beispiel Iran. Nach der unilateralen Kündigung des Atom-Deals durch US-Präsident Trump 2018 startete die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien im Januar ein System zur Umgehung der US-amerikanischen Wirtschaftssanktionen. Sie gründeten eine Gesellschaft, über welche der Zahlungsverkehr bei Iran-Geschäften abgewickelt werden kann. Die Zweckgesellschaft mit dem Namen Instex fungiert dabei als eine Art Vermittlungsstelle, in der Forderungen von europäischen und iranischen Unternehmen miteinander verrechnet werden können. Rüstungsgeschäfte liegen hier aber noch in weiter Ferne.

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(Foto: Bundeswehr)

Bei aller Emotionalität in der Diskussion sollte aber ein Gerücht entkräftet werden, wonach deutsche Rüstungsexporte kontinuierlich steigen. Denn in den letzten drei Jahren zeigt sich ein anderes Bild. Bis Dezember 2018 beliefen sich die Genehmigungen deutscher Rüstungsexporte auf einen Wert von 4,62 Milliarden Euro. Im gesamten Vorjahr waren es noch 6,24 Milliarden. Ein Wachstum gab es zuletzt 2015, damals auf einen Rekordwert von 7,86 Milliarden Euro. Trotz der Beteiligung am Jemen-Krieg war Saudi-Arabien (416 Millionen Euro) viertgrößter Kunde – nach Algerien, den USA und Australien.

Saudi-Arabien bleibt also ein Eldorado für internationale und deutsche Waffenschmieden. Doch trotz voller Kassen und berechtigtem geostrategischen Bedarf stellt sich die deutsche Politik ihrer moralischen Verpflichtung. Ein Land dessen Streitkräfte Krieg im benachbarten Jemen führen, dessen finanzielle Zuwendungen in diversen Konflikten eine Rolle spielen und dessen Herrschergeschlecht bis auf große Ankündigungen kaum Fortschritte in Richtung Demokratisierung gemacht hat, bleibt zumindest moralisch zweifelhaft. Doch Riad weiß um sein Geld und seine Macht. Rüstungsverträge gelten als Vertrauensbeweis für die Araber. Die Vergabe von zukünftigen, nichtmilitärischen Großaufträgen könnte auch an diese „Gefälligkeiten“ gebunden werden. Nicht umsonst vermeiden Frankreich und Großbritannien – von den USA ganz zu schweigen – die ungeliebten Restriktionen. Die Bundesregierung tut also gut daran, ihre Politik „unideologisch“ und sachlich zu diskutieren und danach zu nachvollziehbaren und widerspruchslosen, stringenten Entscheidungen zu kommen. Das ist sie nicht nur den Werftarbeitern in Wolgast schuldig.

Autor: Heino Matzken M.Sc. Ph.D. beschäftigt sich mit dem Nahen Osten. Er ist Autor des Buchs „Ewiger Krieg im Nahen Osten – Konsequenz verkorkster Staatengründung“.